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Kempten, den 31. August 1992
Hallo Stefan,
danke für Deinen lieben und langen Brief. Ich hoffe, daß es mit der Bundeswehr noch
gut ausgeht, das wünsche ich Dir von ganzem Herzen. Stefan, und jetzt zu Deinem Problem.
Ich kann zu der Sache nicht viel sagen, weil ich mit der Sache noch nicht konfrontiert
wurde und ich will und kann nicht über jemanden den Stab brechen, nur weil man eben
anders ist, als im gemeinen. Stefan es ist klar, daß ich etwas gekränkt bin, weil im
geheimen habe ich doch gehofft, bei meinem Sohn Opa zu werden. Mein Junge, es gibt im
Leben eben Dinge, die man bewältigen muß, denn das Leben geht immer weiter. Hallo
Sohnemann, auf eines kannst Du Dich verlassen, ich werde Dich als Sohn und Freund genau so
lieben wie vor, also schnaufe richtig durch und zerbrich Dir den Kopf nicht mehr. Stefan,
ich habe und hätte viele Fragen, aber da setzen wir uns einmal zusammen und bereden alles
in Ruhe. Wegen der Lore brauchst Du Dir überhaupt keine Sorgen machen, denn sie ist
toleranter noch als ich und steht ganz auf Deiner Seite. Weißt Du, Stefan, Du und ich
haben meiner Frau schon manchmal unrecht getan, weil sie kann ihre Gefühle nicht so offen
darlegen, wie es sein sollte. Du sollst auch wissen, daß Lore es war, als sie den Brief
gelesen hatte gleich für Dich Partei ergriffen hatte und Du in ihren Augen genauso ein
vollwertiger Mensch bist, wie jeder andere. Stefan, Du wirst schon Deinen Weg gehen,
wahrscheinlich genauso wie ich und meine Frau und viele andere, aber bitte sei vorsichtig,
schau Dir Deinen Freund an und zwar ganz genau, damit Du vor Schaden bewahrt bleibst. So
nun werde ich Schluß machen und wünschen Dir toi, toi, toi und alles Liebe
Deine Eltern
Tränen laufen über meine Wangen. Das hat mein Vater wirklich geschrieben? Sohnemann.
Mein Junge. Deine Eltern. Mein Körper vibriert leicht. Ich hatte solche Angst, daß er
niemals antworten würde. Und jetzt schreibt er. Mein Vater. Ich schließe meine Augen und
stelle mir vor, ich würde bei ihm wohnen. Eine Familie. Eine richtige Familie.
Ich lege den Brief wieder weg. Seit Wochen lese ich ihn. Immer wieder. Ich bin kaputt
vom Arbeiten, aber ich will noch mal hinaus. Es ist kühl draußen an diesem 1. Oktober.
In dem alten Friedhof unweit der Autobahn finde ich Ruhe. Vögel zwitschern. Wie lange
habe ich das schon nicht mehr wahrgenommen. Ich sehe auf die Grabsteine. Geb. 15.04.1928 -
Gest. 03.11.1944. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Gerade mal 16 Jahre alt ist der
Junge geworden. Ich empfinde Trauer für diesen Menschen. Dagegen geht es mir ja richtig
gut. Auf den anderen Steinen sind die Sterbedaten nahe beieinander. 1939 bis 1945.
Gedankenverloren gehe ich durch die Grabreihen hindurch.
Bilder vom Entlassungstag in der Kaserne gehen mir durch den Kopf. Es kommt mir vor,
als sei es vor Ewigkeiten gewesen. Dabei war es erst gestern. Ich fühle mich frei.
Endlich. Bilder vom Bundeswehrkrankenhaus. Björn. Björn. Was ist mit dir. Wir haben uns
noch ein paar mal getroffen. Meine Augen brennen. Wir können uns nicht treffen, sagt
Björn. Am Telefon. Wegen seinem Freund. Seiner Eifersucht. Weswegen eigentlich?
Thomas
"Ich freue mich Dich zu sehen" grinst mich Thomas breit an. Bei seinem
Grinsen muß ich immer lachen. Er ist sehr lieb zu mir. "Wollen wir was zusammen
unternehmen?" Ich schüttle nur den Kopf. "Lieber nicht." Ich stehe etwas
unbeholfen auf dem Bahnsteig und weiß nicht wo ich hinsehen soll. "Mir ist
kalt" sage ich nur. "Laß uns zu mir fahren, dann koche ich Dir einen
heißen Tee. Einverstanden?" Ich nicke und wir fahren wortlos zu ihm nach Hause. Ich
beobachte ihn. Er ist wirklich nett. Und so freundlich. Lächelt mich immer an. Das bin
ich gar nicht gewohnt. Wir kennen uns jetzt seit fast zwei Monaten und er scheint mich zu
mögen.
"Komm rein!" Thomas geht in seine dunkle Wohnung und macht ein paar
Lichterketten an. Ein angenehmes Licht durchdringt den Raum. Thomas klappert in der Küche
mit Geschirr. Ich folge ihm und beobachte ihn dabei. Die Wohnung gefällt mir. Überall
verspielter Kram und viel Kitsch. So sieht also die Wohnung eines Schwulen aus, denke ich
mir. Meine entspricht dem wohl nicht. Ich ziehe meine Schuhe aus, setze mich aufs Bett und
ziehe meine Beine an. "Hier." Thomas hält mir eine Tasse Tee hin. Ich trinke in
kleinen Schlucken. Wir reden. Über die Zeit im Bundeswehrkrankenhaus. Über das
anstehende Strafverfahren. Über ihn. Über mich. Aber ich erzähle ihm nicht viel. Vom
Heim. Von meinem Umzug nach Berlin. Thomas scheint mich zu bewundern.
Ich muß langsam los. Meine Schuhe, wo sind meine Schuhe? Panik ergreift mich.
"Was suchst Du denn?" fragt mich Thomas. "Meine Schuhe, wo sind sie? Ich
muß los. Es ist schon spät." "Ich habe sie hinaus gestellt in den Flur. Aber
jetzt fährt keine U-Bahn mehr. Mit Nachbussen brauchst Du Stunden." Ich weiß.
Ratlos schaue ich ihn an. "Du kannst hier übernachten, kein Problem." Ich nicke
nur.
Seine Hände berühren meine Schultern. Meinen Hals. Er fährt mit seinen Händen
unter mein T-Shirt. Berührt meine Brust. Meinen Bauch. Meinen Rücken. Ich bin
bewegungslos und verfolge im Kopf jede seiner Bewegung. Meine Augen sind geschlossen, aber
ich spüre, wie er mich ansieht. Langsam zieht er mir das T-Shirt über den Kopf. Ich
lasse es geschehen und spüre seine Haut an meinem Rücken. Seine Hände streichen über
meine Brust, über meinen Bauch. Tasten sich langsam über meine Lenden hinunter zu den
Beinen. Meine Shorts spannt. Er streichelt meine Schenkel und kommt innen langsam immer
höher. Seine Hände berühren meine Erregung und mein Körper vibriert leicht. Noch immer
kann ich mich nicht bewegen. Seine Hände ziehen achtsam meine Shorts nach unten. Ich
liege da. Nackt. Ausgeliefert. Gleich wird er mich fortjagen, wenn er mich so sieht. Statt
dessen verschwindet sein Kopf zwischen meinen Beinen und ich spüre, wie er mit der Zunge
über meine E**r fährt. Den S*****z hoch. Und dann nimmt er ihn in den Mund. Saugt daran.
Auf und ab. Immer schneller. Nimmt die Hand dazu. Streichelt mit der anderen meine E**r.
Meine Beine. Meine Brust. Meinen Bauch. Seine Hände sind überall. Ich atme schneller.
Meine Hände wollen sich zu ihm hin bewegen, aber sie gehorchen mir nicht. Sie zittern
nur. Manchmal mehr. Es müßte ihm auffallen, aber er sagt nichts. Mein Herz schlägt
immer schneller. Seine Hand reibt schnell auf und ab. Sein Mund folgt ihr dabei, als
wären sie miteinander verbunden. Ich schließe meine Augen. Es wird dunkel. Ein Kitzeln
steigt zwischen meine Beine. Mein Körper zuckt. Will sich aufbäumen. Aber er ist
gelähmt. Meine Hände scheinen um sich zu schlagen, aber sie liegen ruhig neben meinem
Körper, als gehörten sie nicht dazu. Thomas bewegt seinen Kopf jetzt nur noch langsam
auf und ab. Saugt den letzten Tropfen auf. Läßt mich los. Legt sich neben mich und
umarmt mich.
Seine Hände wecken mich am nächsten Morgen. Streicheln um meine Hüften. Meinem
Bauch. Er findet mich bestimmt total dick. "Na, gut geschlafen?" grinst mich
Thomas an. "Ja" sage ich nur und nicke dazu. "Ich liebe Dich." Ich
sehe ihm in die Augen. Wirklich? "Du siehst total süß aus." Ich werde rot und
drehe meinen Kopf wieder zur Seite. Ein schwacher Lichtstrahl kommt durch den fast
verschlossenen Rolladen. Es ist zu dunkel, als dass er es bemerken könnte.
"Bleib einfach liegen. Ich mache Frühstück. Bis gleich. Thomas verschwindet
in der Küche und ich schaue in diesen Lichtstrahl.. Ich mag ihn ja auch. Aber ich will
ihn nicht küssen. Er zwingt mich ja auch nicht dazu. Es ist okay.
Thomas kommt mit einem großen Tablett zurück. "Wow, so ein riesiges
Frühstück" staune ich und er grinst mich an. "Das mache ich nur für ganz
besondere Leute." Es ist mir peinlich und ich setze mich auf, ziehe die Decke um mich
herum und greife nach der Kaffeetasse. Gewohnte Dinge.
"Was hast Du nach dem Bundeswehrkrankenhaus die ganze Zeit gemacht? Du warst wie
verschwunden?" Also erzähle ich Thomas von meinem ersten Ausflug in die Scene.
"Ich war in der Bierbar in Kreuzberg und habe mir ein bißchen Mut angetrunken und
ging dann ungefähr um fünf in die WuWu-Bar. Die war da allerdings schon völlig
leer." Ich fange an zu lachen: "Das war wirklich dämlich." Ich wundere
mich über meinen Humor. Damals war mir kotzübel, als ich in die Kneipe ging. Das erste
mal. Eben.
(278) 62 Js 259/92 (134/92)
Ich sitze vor dem Gerichtssaal im Amtsgericht Moabit. Ich bin total nervös und
zittere leicht. Rauche eine Zigarette nach der anderen. Wo bleiben die anderen. Wo bleibt
mein Anwalt. Ich lese noch einmal meine Notizen durch.
Ich starre an die Tafel vor dem Gerichtssaal. Ein maschinengeschriebener Zettel hängt
daran. 26.11.92 13.30 Uhr Saal III/768. Es ist kurz nach eins und ich gehe unruhig die
weiten Gänge auf und ab. Wo bleiben die nur. Meine feuchten Hände streife ich in
regelmäßigen Abständen an meiner Hose trocken. 13.10 Uhr. Ich gehe aufs Klo, muß aber
gar nicht. Schaue mich im Spiegel an. Ich erkenne mich kaum. Mit Hemd und Pullover
darüber. So bin ich seit Jahren nicht mehr herum gelaufen. Es wird schon wirken.
Schließlich sind das alles Beamte hier. 13.14 Uhr. Ich gehe zurück zu der Bank vor dem
Saal und starre an die Decke. 13.21 Uhr. 13.22 Uhr. 13.23 Uhr. 13.24 Uhr. Schritte. Ich
stehe auf und da kommen sie endlich. Frank und Thomas. Ich umarme die beiden nur kurz. Ich
rauche noch eine Zigarette. "Mach Dich nicht verrückt, es wird gut
gehen!" betont Frank übertrieben. "Ich weiß nicht" und renne wieder durch
die Gänge. Wieder Schritte. Ich schaue in den Gang. Der Hauptmann und der Spieß. Sie
kommen auf mich zu. Schütteln uns die Hände. Der Spieß redet ein wenig mit mir.
"Ach, es wird schon gut gehen, jetzt, wo sie ausgemustert sind." Der Hauptmann
schweigt. Er ist noch immer sauer auf mich. Ich ignoriere die beiden. Oder versuche es
zumindest. 13.27 Uhr. "Wo bleibt KaJo?" will Thomas wissen. Ich ziehe nur die
Schultern hoch. Ich weiß es nicht. 13.29 Uhr. Noch eine Zigarette. Hände trocken
streifen. Ich werde langsam verrückt. Mein Herz rast. Meine Hände sind nicht mehr
trocken zu kriegen. 13.30 Uhr. Die Türe öffnet sich. Ein Uniformierter kommt heraus.
"Es dauert noch ein wenig" und verschwindet wieder. 13.31 Uhr. KaJo. Endlich.
Mit wehender schwarzer Robe kommt er um die Ecke. "Die mußten noch meine
Bohrmaschine quittieren, mit der darf man hier ja nicht rein." KaJo lacht. Frank
lacht. Thomas lacht. Ich nicht. Mir ist kotzübel. Mein Zittern wird immer heftiger. Ich
zünde mir noch eine Zigarette an, als sich die Türe öffnet. Fremde Personen kommen
heraus. "Gleich geht es weiter" sagt der Uniformierte und schließt die Türe
hinter sich. KaJo sagt irgendwas zu mir, aber ich verstehe ihn nicht. Meine Gedanken sind
weg. Alles ist leer. Nichts ist in mir. Ich nicke, damit KaJo wenigstens denkt, ich höre
ihm zu.
"In der Strafsache gegen Stefan Strauch bitte alle Beteiligten in den
Gerichtssaal 768. Wir gehen hinein. Ein Mann in einer schwarzen Robe sitzt hinter einem
Tisch an der Fensterseite. KaJo zeigt mir meinen Platz. Ich sitze dem Staatsanwalt genau
gegenüber. Er sieht mich kurz an und liest dann in seinen Akten weiter. Frank und Thomas
sitzen Ewigkeiten von mir entfernt hinter einer Holzbank. Davor der Hauptmann und der
Spieß. Eine Türe an der Stirnseite des Saals öffnet sich und eine Frau und drei weitere
Personen kommen herein. Alle stehen auf. Also auch ich. Nur nicht auffallen. Die Richterin
setzt sich und ruft die Hauptverhandlung auf. Sie fragt nach meinen Personalien und denen
der Zeugen. Danach schickt sie den Hauptmann und den Spieß nach draußen.
"Herr Staatsanwalt, bitte." Der Staatsanwalt räuspert sich und fängt an zu
lesen: "Stefan Strauch, geboren am 20. Juli 1969 in Kempten/Allgäu, Verteidiger
Rechtsanwalt KaJo Frings, Gneisenaustraße, Berlin, wird angeklagt, in Berlin vom 1.
Oktober 1991 bis zum 3. Mai 1992 und seit dem 6. Mai 1992 durch zwei selbständige
Handlungen eigenmächtig seiner Truppe ferngeblieben zu sein, um sich der Verpflichtung
zum Wehrdienst dauernd zu entziehen, indem er trotzt Erhalts des Einberufungsbescheides
vom 8. August 1991, zugestellt am 30. August 1991, nicht seinen Wehrdienst beim
3./Jägerbataillon 581 in O-1193 Berlin am 1. Oktober 1991 antrat und nachdem ihn die
Feldjäger des Bataillons am 4. Mai 1992 zu seiner Einheit gebracht hatten, er diese am 6.
Mai 1992 eigenmächtig verließ und ihr seitdem fernblieb, weil er niemals Wehrdienst
leisten will.
Vergehen, strafbar nach §§ 16 WStG, 53 StGB.
Beweismittel:
Zeugen:
1. Hauptmann Müller
2. Stabsfeldwebel Kunze
Urkunden:
Einberufungsbescheid vom 8. August 1991
Beiakten:
1. Personalakten des Kreiswehrersatzamtes Berlin
2. Prozeßakten der Wehrbereichsverwaltung VII.
Wesentliches Ermittlungsergebnis:
Das Kreiswehrersatzamt Kempten musterte den Angeschuldigten am 10. März 1988.
Daraufhin verzog der Angeschuldigte nach Berlin, um sich augenscheinlich der Einberufung
zu entziehen.
Im April 1991 übersandte das Kreiswehrersatzamt Kempten die Personalunterlagen des
Angeschuldigten an das nunmehr zuständige Kreiswehrersatzamt Berlin.
Gegen den Einberufungsbescheid vom 8. August 1991, zugestellt durch
Postzustellungsurkunde am 30. August 1991, legte der Angeschuldigte mit Schreiben vom 10.
September Widerspruch ein. Das Kreiswehrersatzamt leitete diesen an die
Wehrbereichsverwaltung VII in Strausberg weiter und wies den Angeschuldigten im Schreiben
vom 16. September 1991 darauf hin, daß der Einberufungsbescheid über den eingelegten
Widerspruch seine volle Gültigkeit behalte, mithin der Angeschuldigte in jedem Fall
seinen Wehrdienst anzutreten habe.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 1991 wurde der Widerspruch von der Wehrbereichsverwaltung
VII als sachlich unbegründet zurückgewiesen, da die Einberufung keine besondere Härte
gemäß § 12 Absatz 4 Satz 1 Wehrpflichtgesetz für den Angeschuldigten darstellt.
Daraufhin erhob der Angeschuldigte Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin und
beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Absatz 5
Verwaltungsgerichtsordnung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluß zurückgewiesen und die Klage
durch Urteil vom 18. Februar 1992 abgewiesen.
Obwohl schon sein Widerspruch abschlägig beschieden und er auf die Rechtsfolgen
hingewiesen worden war, trat der Angeschuldigte am 1. Oktober 1991 nicht seinen Wehrdienst
an.
Am 4. Mai 1992 griffen die Feldjäger des Bataillons den Angeschuldigten auf und
brachten ihn gegen 19.30 Uhr zu seiner Einheit. Dabei äußerte sich der Angeschuldigte
dahingehend, daß er sich auf jeden Fall dem Wehrdienst entziehen werde. Am 6. Mai 1992
erschien er erneut nicht zum Dienst und blieb seitdem seiner Einheit fern. Der
Angeschuldigte ist als Totalverweigerer anzusehen."
Die Richterin sieht mich an. "Möchten sie sich dazu äußern?"
"Ja" antworte ich und will gleich los reden. Aber die Richterin spricht weiter.
Die Ereignisse nach dem 6. Mai werden zu Protokoll gegeben. Weitere Feldjägereinsätze.
Bundeswehrkrankenhaus. Ausmusterung.
Dann fragt mich die Richterin, warum ich nicht zum Wehrdienst angetreten bin.
"Ich konnte es nicht" fange ich leise an zu sprechen. Ich schaue auf meinen
Zettel, aber ich brauche ihn nicht mehr. Ich habe wieder alles in meinem Kopf. In meinen
Nervenbahnen. In meinen Adern. Es spricht von selbst aus mir heraus. Ich rede und höre
mir dabei zu. Ich nehme nichts mehr um mich herum wahr. Nur meine Stimme. Sie spricht.
Ruhig. Leise. Dauerhaft. Immer weiter. Ohne Pause. Sie scheint keine Luft holen zu
müssen.
Nach einer Stunde und fünfzehn Minuten hört sie auf. Stille. Lautlosigkeit. Die
Richterin schaut mich an. Sagt nichts. Der Staatsanwalt. Die beiden Schöffenrichter.
Frank. Thomas. Sie alle schauen mich schweigend an. KaJo sitzt hinter mir und schreibt
etwas auf. Nickt mir zu. Lächelt. Der Staatsanwalt durchbricht als erster die Stille.
"Ich hätte gerne eine Unterbrechung." Die Richterin stimmt zu und der
Staatsanwalt verschwindet schnell hinter der großen braunen Holztüre.
Wir gehen hinaus. Ich zünde mir gleich eine Zigarette an. Die Anspannung fällt
schlagartig. Mein Körper zittert wieder und ich atme schnell und ungleichmäßig. Frank
kommt auf mich zu und umarmt mich. Streichelt mir über den Rücken. Ich kann kaum etwas
sagen. Meine Stimme will nicht mehr sprechen. Ich krächze nur noch. Thomas schaut mich
mit großen Augen an. KaJo will mich aufmuntern, aber ich höre nichts. Ich bemerke den
Hauptmann und den Spieß. Sie sitzen auf der Bank und schauen nur. Wortlos. Der
Staatsanwalt stürmt an uns vorbei und verschwindet ebenso schnell wieder. "Herr
Rechtsanwalt Frings bitte in den Gerichtssaal 768. KaJo drückt mir den Arm und
verschwindet. Ich ziehe an meiner Zigarette, als müßte ich danach sterben. Ich laufe
unruhig hin und her. Was passiert nun? Ich habe Angst. Meine feuchten Hände fuchteln wild
durch die Gegend. Ich rede irgendwas zu Thomas. Er sagt nichts. Die Türe geht auf. KaJo.
"Wieviel verdienst Du?" Ich sage es ihm und weg ist er wieder. Wieder die Türe.
Wieder KaJo. "Sind tausend Mark okay?" Ich nicke und weg ist er wieder. Kurz
danach werden wieder alle Beteiligten aufgerufen. Ich sitze wieder vor der Richterin und
warte. Der Hauptmann und der Spieß werden nach Hause geschickt. "Wir brauchen sie
nicht mehr, vielen Dank" sagt die Richterin zu ihnen. Ich muß fast grinsen. Jetzt
mußten sie über eine Stunde draußen warten und jetzt werden sie nicht einmal gebraucht.
"Das Verfahren gegen sie wegen Dienstflucht wird gegen ein Bußgeld in Höhe von
Eintausend D-Mark vorläufig eingestellt." Ich drehe mich zu KaJo um und ziehe mit
meinen Lippen das Wort vorläufig nach. Er winkt nur kurz mit der Hand
alles in Ordnung. "Die Kosten des Verfahren trägt die Staatskasse. Ihre
Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt."
Ich gehe nach draußen. Alles um mich herum verschwimmt. Wie in Trance stehe ich im
Gang des Amtsgerichts. KaJo kommt auf mich zu. "Siehst Du, hat ja doch alles gut
geklappt. Ich muß los. Wir sehn uns auf dem nächsten Beratertreffen. Bis dann" und
weg ist er. Typisch KaJo muß ich grinsen. Frank kommt mit Riesenschritten auf mich zu.
Grinst und drückt mich ohne Vorwarnung gegen seinen Bauch. "Ich bekomme keine Luft
mehr" drücke ich heraus und er läßt mich wieder los. Thomas lächelt mich an.
Drückt mir die Schulter. Nur für einen Augenblick. Wir gehen in ein Restaurant schräg
gegenüber dem Gerichtsgebäude und trinken Milchkaffee. Ich kann es noch gar nicht
glauben. Eingestellt. Ich bin frei. Frei!
Drama
"Ich muß jetzt mal allein sein" sage ich und gehe. Ich sitze am
Schreibtisch und starre auf meine Postkartenwand. Irgendwie kann ich mich noch nicht
richtig freuen. Ich gehe unruhig spazieren und fahre abends zu Thomas. "Komm
rein. Wie gehts dir?" "Naja." Ich setze mich auf den Boden in seinem
Zimmer und er kocht mir einen Tee. Zündet Kerzen an. Räucherstäbchen. Ich könnte
heulen. Und ich weiß noch nicht einmal warum.
Thomas berührt mich. Zieht mich aus. Wie einen kleinen Jungen, der zu müde ist. Ich
rolle mich in sein Bett. Fühle seine Hände auf meiner Haut. Streicheln mich. Sanft.
Zärtlich. Dann werden sie fordernd. Erforschen meinen Körper. Meine Hände sind
festgebunden. Bewegen sich nicht. Ich kann ihn nicht anfassen. Meine Schenkel liegen auf
den seinen. Meine Beine sind gespreizt. "Soll ich eine neue CD einlegen?"
"Ja, aber merke Dir die Stellung" antworte ich. "Warum?" "Na,
warum wohl." Thomas steht auf und wechselt die CD. Kommt zurück. Aber die Stellung
hat er vergessen. Er will mich nicht.
Er beugt sich zu mir runter und bläst mir einen. Es dauert nicht lange und es kommt
mir. Er sagt nichts. Ich sage nichts. Er muß sich doch fragen, warum ich ihn nicht
anfasse. Irgendwann schlafe ich ein.
Am nächsten Morgen werde ich von seinem Mund geweckt. Es ist völlig dunkel und ich
höre nur sein schmatzen. Dann fühle ich es auch. Ich spanne meine Muskeln zur
Beschleunigung an. Wenig später sitze ich im Bus und fahre durch die Dunkelheit von
Spandau nach Tempelhof. Regen klatscht an die Scheiben. Regentropfen laufen die Scheiben
hinab. Wie Tränen.
Eine Woche später rufe ich bei Thomas an. Wir treffen uns im Drama in Kreuzberg.
Thomas sitzt mir schweigend gegenüber. "Danke, daß du gekommen bist" fange ich
leise an. "Thomas, ich mag dich sehr gerne, aber ich kann dich nicht lieben."
Ich fühle mich mies, als ich es sage. Es verletzt. Thomas steht auf und geht. Kein Wort.
Nichts.
Christnacht
"Das ist doch nicht dein Ernst?" frage ich Frank und sehe ihn entgeistert
an. "Ich war seit Jahren nicht mehr in der Kirche und wüßte auch nicht, was mich
jetzt dahin treiben könnte." "Na, Stephan, unser Kampagnen-Pfarrer. Der macht
keine 08/15 Gottesdienste. Und danach trinken wir noch was zusammen." Besser als
alleine an diesem Abend zu sein.
Frank und ich sitzen in der letzen Reihe. Stephan spricht seine Texte. Und steigt dann
auch die Kanzel. "Was macht der denn da oben?" flüstere ich leise zu Frank.
"Das ist bei den Evangolen so." Ich grinse. Stephan spricht. "Jesus war
auch ein Asylbewerber in Jerusalem." Ich bin schlagartig hellwach. Was hat der
gesagt. Eine leichte Unruhe geht durch die Gemeinde. Aber es beruhigt sich wieder.
Nach dem Gottesdienst erzählt uns Stephan, daß die Leute am Heilig Abend nicht
aufstehen. "Sonst kann das schon mal vorkommen, daß die Leute gehen." Er
grinst. "Aber am 24. haben sie keine Chance." Ich muß lachen über so viel
Ironie. Und das soll ein evangelischer Pfarrer sein? Wir sitzen noch bis spät in die
Nacht und Frank bringt mich dann mit dem Auto heim.
First Time
"Ja, hier ist der Helmut." Fast lasse ich den Telefon-Hörer aus der Hand
fallen. "Ich komme nach Berlin." Ich bin völlig reglos. Funktioniere nur.
Am 19. März 1993 hole ich ihn vom Flughafen ab. Er will eine Woche bleiben. Er
erzählt mir von vielen Neuigkeiten aus dem Allgäu. Interessantes und Langweiliges. Er
ist gut gelaunt, heitert mich auf. Wir gehen zusammen etwas essen und liegen dann
nebeneinander im Bett. Gleich fragt er, wetten? "Tun was nochn
bißchen?" "Nein, ich bin müde vom Arbeiten. Schlaf gut." Habe ich das
gesagt? Helmut sagt nichts. Er bleibt reglos liegen und dann holt er sich einen runter.
"Willst du wirklich nicht?" "Nein, ich bin müde" murmle ich durch
mein Kopfkissen. Ich drehe mich von ihm weg und versuche zu schlafen. Aber es gelingt mir
nicht. Er knistert mit Taschentüchern herum. Endlich ist er fertig. Ruhe. Ich schlafe
ein.
"Ich möchte gerne in die Sauna gehen" sagt mir Helmut beim Frühstücken.
"Ich kenne hier keine" antworte ich wahrheitsgemäß. "Ich schon. Ich habe
sie letzten Sommer entdeckt, als Du im Bundeswehrkrankenhaus warst. Ist eine ganz normale
Sauna. "Ja, warum nicht" höre ich mich sagen.
Wir kommen durch eine Metalltüre in einen warmen Raum. Ein junger Mann sitzt hinter
einem tresenähnlichem Gestell und gibt uns große Handtücher und jedem einen Schlüssel.
"Für die Kabinen" klärt mich der junge Mann auf. Kabinen? Wir trotten hinein
und ich sehe nur Männer. Vor allem alte mit dicken Bäuchen. Sie sehen auch gleich zu uns
herüber. Ich schaue weg und verschwinde in meiner Kabine und schließe ab.
Mit meinem Handtuch um die Hüften komme ich wieder nach draußen. Helmut wartet
schon. "Ich will erst mal in die Trockensauna" sage ich und fange an zu suchen.
Helmut trottet erst hinter mir her und zeigt mir dann den Weg. Wir gehen hinein und ich
genieße die Hitze, die auf meine Haut einschlägt. Nach wenigen Minuten steht Helmut auf.
"Das ist mir zu heiß." Ich bleibe noch eine Weile drin, bis mir der Schweiß in
Bächen über den Körper rinnt.
Benommen komme ich nach draußen. Helmut wartet schon auf mich. "Ich zeig
Dir mal, was hier alles ist." Wir gehen durch ein Labyrinth. Kabinentür an
Kabinentür. Einige sind sogar offen. Wir gehen eine Etage tiefer und da sind noch viele
unzählige Kabinentüren mehr. Hier ist fast jede Türe offen. Darin liegen irgendwelche
Typen, die an ihrem S*****z herum fummeln. Ich gehe schnell weiter. "Hier ist die
Dampfsauna." "Da drin?" "Ja" antwortet Helmut und schiebt mich
hinein. Ich gehe ganz langsam und sehe fast nichts. Plötzlich taucht aus dem Nichts eine
Gestalt vor mir auf und taucht ebenso schnell wieder ins Dunkel ab. Um die Ecke geht es in
einen noch dunkleren Raum. Glitsch-Geräusche kommen aus einem noch weiter hinter
liegenden Raum hervor. Leises Stöhnen. Ich spüre eine Hand an meinem Hintern und drehe
mich schlagartig um. Aber ich sehe niemanden. "Ich will hier raus" flüstere ich
zu Helmut, dränge mich an ihm vorbei und bin froh, als ich wieder ans Licht komme.
Helmut kommt nicht nach. Ich warte draußen auf einer Bank. Die Türe öffnet sich und
ein fremder Mann kommt mit einem Halbsteifen heraus. Geht zu den Duschen gegenüber,
duscht und geht zurück durch die Türe ins Dunkel. Nach einer Ewigkeit kommt Helmut
heraus und duscht sich auch. Dann kommt er zu mir. "Da war ich letztes Mal auch schon
drin. Ist doch nichts dabei." "Nein, wenn dir das Spaß macht."
Es gibt noch eine weitere Dampfsauna. Dort gibt es sogar Licht. Ätherische Öle
dringen in meine Nase. Ich kann tief einatmen. Es ist sehr nebelig hier. Man sieht die
andere Seite nur verschwommen. Und trotzdem fühle ich mich hier wohl. Man erkennt die
Gesichter.
Ein junger Mann in meinem Alter setzt sich schräg hinter mich eine Stufe höher. Ich
sehe aus den Augenwinkeln nach hinten und betrachte seinen Körper. Er ist nur leicht
behaart und beginnt mit seinen Händen seinen S*****z zu reiben. Ich werde nervös und
möchte raus. Aber irgend etwas hält mich. Er reibt weiter und ich werde langsam rot.
Für den bin ich doch viel zu häßlich. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner
Schulter. Ich drehe mich zu ihm um und er schaut mich stumm an. Er nickt leicht. Und
rutscht zu mir auf die Bank. Meine Hände wandern zu seinem Körper. Ich berühre seine
Beine. Seine Schenkel. Taste mich vorsichtig an seinen S*****z heran. Mir wird schwarz vor
meinen Augen. "Ich muß hier raus, ich bin wohl schon zu lange hier drin." Er
schaut mich nur an. "Kommst Du mit nach draußen?" Wir gehen raus. Endlich Luft.
Ich atme tief durch. "Die Duftstoffe waren zu viel für mich." Er nimmt mich bei
der Hand und wir verschwinden in eine schlecht beleuchtete Ecke. Er umfaßt mich von
hinten. Drückt mich an sich. Entspanne Dich Steven. Ich spüre ihn. Am Loch. Seine Hände
berühren meine Hüften und ich spüre, wie er langsam in mich eindringt. Ich fühle ihn
in mir. Er bewegt sich rein und raus. Langsam und gleichmäßig. Immer wieder. Mein
Körper beginnt zu vibrieren. Seine Hände umfassen meinen Oberkörper. Meine Brust.
Meinen Bauch. Mein Unterkörper beginnt zu kitzeln... Irgendwann zieht er ihn raus und ich
drehe mich zu ihm um. Hole ihm einen runter bis auch er kommt. Danach gehen wir duschen
und dann zur Bar. Wir unterhalten uns. Über unsere Arbeit. Über lauter
Belanglosigkeiten. "Wollen wir uns wieder treffen?" frage ich ihn. "Ja,
warum nicht" antwortet er und wir verabreden uns für draußen vor der Türe. Es
regnet und ich warte. Aber er kommt nicht. Ist er schon gegangen. War er schon vor mir
draußen. Er ist verschwunden. Ohne ein Wort.
Ich fahre in meine Wohnung und lege mich auf mein Bett. Ich denke an vorhin und
bekomme gleich wieder einen Steifen.
Im Fernseher läuft der Watzmann. Manchmal lache ich sogar über das Spektakel. Als
Helmut kommt, lege ich eine Videokassette ein. The Rocky Horror Picture Show. Helmut will
wissen, warum ich plötzlich verschwunden bin und ich erzähle es ihm. Er nickt nur. Aber
er fragt nicht weiter. Er muß sich auf das Lesen konzentrieren. Ich kann den Film schon
mitsprechen.
Ich bin hellwach und wir fahren ins SchwuZ. Ich tanze mich ins Delirium und bekomme
von der Außenwelt nichts mehr mit. Ich sehe nur noch S******e, die sich überall in
meinen Körper bohren.
Am letzten Tag will Helmut noch mal in die Sauna und ich gehe mit. Vielleicht treffe
ich ihn ja wieder. Ich durchsuche die vielen Irrwege und finde nur leblose Gestalten in
ihren Kabinen. Immer das gleiche Bild. Im Fernsehraum läuft ein Porno nach dem anderen.
S******e in Löchern. S******e in Löchern. S******e in Löchern. Ein Typ sitzt mitten
im Raum und holt sich einen runter. Ich sehe ihm eine Weile zu.
Ich finde Helmut an der Bar. Wir reden. Über das Heim. Die Schwestern. Über seine
Familie. "Lange werde ich heute nicht hier bleiben. War ein anstrengender Tag auf
Arbeit." Helmut nickt. Wir gehen durch die Irrwege spazieren. "Willst Du mich
f****n?" frage ich Helmut. F****n. Wie besessen suche ich einen Kondomautomaten. Wir
verschwinden in seiner Kabine und er zieht sich das Kondom über. Helmut liegt auf dem
Rücken und ich setze mich auf ihn. Er dringt in mich ein und ich fühle es nicht. Helmut
fummelt umständlich an meinem S*****z herum. "Laß, sonst kommt es mir
gleich." presse ich heraus. Mein S*****z erschlafft. Keine Regung mehr. Nach einer
Weile kann ich nicht mehr. Es strengt mich zu sehr an. Total verschwitzt stehe ich auf.
"Ich bin total kaputt." "Ach so, soll ich kommen?" fragt er mich und
ich knie mich wortlos vor ihm auf die Liege. Er dringt wieder ein und schiebt seinen
S*****z nur rein und raus. Ich starre an die Wand vor mir. Alle meine guten Gefühle sind
weg. Einfach weg. Mein Körper wird nach vorn geschlagen. Immer wieder. Ich höre nur
leise das Klatschen seiner Haut auf meiner. Nach ein paar Minuten ist es vorbei. Ich lege
mich auf den Rücken und Helmut setzt sich neben mich. Er holt mir einen runter.
"Blas mir einen" fordere ich ihn auf, aber er will nicht. Ich konzentriere
mich auf den schlechten Porno und schaffe es, doch noch zu kommen. Danach gehe ich
duschen, ziehe mich an und verschwinde. Draußen muß ich mich fast übergeben. Am
nächsten Morgen will mir Helmut fünfhundert Mark geben. "Nein, ich komme mir vor,
als würdest Du mich bezahlen." Er steckt es wieder ein und zieht die Wohnungstüre
hinter sich ins Schloß. Ich bin wieder alleine.
Coming Out in Raten Teil 1
Mary kommt mit einem Lächeln in die U-Bahn. Wir küssen und umarmen uns kurz. Im
Café Vierlinden sitzen wir an einem einsamen Tisch. "Vielleicht hast Du es ja schon
bemerkt, daß ich mehr auf Jungs stehe." Sie lächelt mich an. "Nö, habe ich
nicht, aber das ist doch auch okay." Ich bin froh, daß Mary es so locker nimmt. Ich
wollte es ihr sagen. Allen meinen Freunden.
Am 2. April fahre ich zum Bahnhof Zoo. Stephan erwartet mich auf dem Bahnsteig und ich
freue mich darauf, mit ihm nach Hamburg zu fahren. Endlich mal wieder raus aus Berlin. Der
Zug rauscht durch die Gegend. Bunte Farbklekse flitzen an dem Fenster vorbei. Ich habe
Stephan schon öfter besucht und wir können uns so gut unterhalten. Ich erzähle ihm von
Helmut. Aber nur, daß er was mit mir hatte. Stephan schüttelt den Kopf. "Warst Du
verliebt in ihn?" "Nein!" schießt es aus mir heraus. Er fragt nicht
weiter. Zum Glück.

Wir fahren mit der S-Bahn zu seiner Schwester. Ich bin ziemlich müde und will mich
gleich hinlegen. "Ich würde gerne spüren, wie es ist, wenn du auf mir liegst."
Ich schaue Stephan an und fange an zu lachen. "Und dann bekommst du keine Luft
mehr." "Ich mag dich und will einfach auch wissen, wie du dich anfühlst."
"Ich mag dich ja auch, Stephan, aber ich will jetzt nicht, okay?" Er läßt mich
in Ruhe schlafen.
Am Ostersonnabend ist Edith dran. Sie sitzt neben mir auf dem Boden und wir reden
einfach. "Was ist los mit dir?" Ich druckse herum. "Naja, ich glaube, daß
ich mehr auf Männer stehe." "Ach Steven, du bist nicht der erste, der schwul
geworden ist" steht auf und geht aufs Klo. "Man wird nicht schwul, man ist
es" sage ich zu ihr, als sie wieder kommt. "Ja, klar." Das wars? Das
wars.
"Mir scheint, du bist verliebt in deine Kaputtheit." Stephan sitzt auf
meinem Futon und ich schaue ihn mit großen Augen an. Was? Ich denke nach und verstehe
nicht, was er meint. Verliebt in meine Kaputtheit. Ach was. "Ich glaube einfach an
Liebe mit absolutem Selbstverständnis." Jetzt sieht mich Stephan fragend an.
"Wo einfach alles klar ist, keine Mißverständnisse. Ach, keine Ahnung."
Stephan schüttelt den Kopf. "Du bist verrückt." Ich zucke nur mit den
Schultern. Vielleicht.
Der Wecker klingelt gemein und ich schrecke hoch. Putze mir die Zähne und komme
zurück ins Zimmer. Ziehe mich an. Stephan umfaßt mich von hinten. "Laß dich
doch einfach mal küssen" und dreht mich um. Mich ergreift Panik. "Nein, ich
will nicht." "Ach komm schon." Er läßt nicht locker. Ich befreie mich
unsanft aus seiner Umarmung. "Ich muß los" sage ich hastig und Stephan
begleitet mich zur U-Bahn. Wortlos.
Ein paar Tage später treffen wir uns im Tiergarten. "Ich liebe dich nicht"
sage ich leise. Stephan schweigt. "Ich kann es nicht ändern. Ich liebe dich
nicht" wiederhole ich. "Wenn du das eines Tages anders siehst: ich werde auf
dich warten." "Nein." Ich gehe und lasse Stephan alleine zurück.
Bahnhof Zoo
Seit Tagen sitze ich in meiner Wohnung und gehe nicht hinaus. Nur nachts. Dann gehe
ich in die Schwulen-Scene und suche einen Freund. Wo ist er? In Toms Bar läuft im
hintersten Raum ein Porno auf Großbildleinwand. Ich setze mich auf einen Barhocker und
schaue zu. Ein paar Typen kommen entlang und schauen zu mir. Drehen sich um. Verschwinden.
Eine Treppe hinunter. Der Darkroom. Allein der Gedanke daran hält mich zurück. Ich gehe
aufs Klo und neben mir steht ein Typ, der mir auf dem S*****z sieht. "Machts
Spaß?" frage ich ihn laut und er zieht ab.
Ich finde wohl nie einen Freund. Immer nur alte Typen interessieren sich für mich.
Wenn ich in der Bar entlang laufe, drehen sich die alten Herren synchron die Köpfe nach
mir um. Toll. Das machen sie bei allen Jüngeren. Mir wird übel und ich bestelle mir noch
einen Whisky-Lemon. Rauche endlos Zigaretten und trotte dann frustriert zurück zu meinem
Bett.
Am nächsten Wochenende das gleiche. Immer das gleiche. Niemand interessiert sich für
mich. Dabei gebe ich mir solche Mühe. Ich brauche inzwischen Stunden, bis ich
ausgehfertig bin. Aber ich werde immer nur von alten Säcken angebaggert. Sie torkeln auf
mich zu. Lallen mich voll. Immer das gleiche.
Ich gehe vor die Haustüre. Es ist noch sehr warm. Trotzdem ziehe ich mir eine Jacke
an. Und meine Baskenmütze. Am Bahnhof Zoo steige ich aus. Es ist noch einiges los hier.
Reisende kommen und gehen. Dazwischen stehen ein paar Jungs scheinbar unbeteiligt in der
Gegend herum. Ich gehe zur Jebensstraße raus. Die schwüle Luft drückt. Hier stehen
mehrere Jungs an dem Zaun gegenüber. Ich beobachte sie. Ein Auto hält vor einem Jungen.
Er geht an die Beifahrertüre. Sie unterhalten sich. Er steigt ein. Sie fahren weg. Leicht
Kohle verdienen.
"Du bist wohl neu hier, hm?" Ich zucke zusammen. Ein Mann um die dreißig steht
vor mir. "Ich sag Dir, wie es hier läuft." Wir gehen ins McDonalds auf
der anderen Seite des Bahnhofs. Er sagt mir die Preise. Worauf ich achten soll.
"Fahre nie mit einem in seine Wohnung. Mache es nur im Auto. Da kannst Du notfalls
immer abhauen." Ich schlürfe an meinem Kaffee. Die Preise. Leicht verdientes Geld.
Mir ekelt vor mir selbst. Der Typ steht auf und verschwindet im Gewirr des Bahnhofs. Ich
gehe an die Eingangstüren. Schleiche mich durch den Bahnhof zur Jebensstraße. Wieder
Autos. Wieder Jungen, die einsteigen und davonfahren. Ein älterer Mann schleicht um mich
herum. Schaut mich von oben bis unten an. Lächelt. Kalt. Berechnend. Ich gehe weg. Weg
von der Jebensstraße. Weg vom Bahnhof. Laufe durch den Tiergarten. Irgendwann bin ich
wieder daheim. Zu Hause wird mir heiß und kalt. Schwindelig. Mein Körper schüttelt
sich. Ich übergebe mich. Kotze alles heraus. Ich auf dem Strich? Nein.
Coming Out in Raten Teil 2
Waltenhofen, Juli 1993
Hallo, Du lausiger Berliner!
[...] Und jetzt kommt der große Hammer, unsere Meinung zu Deiner partnerschaftlichen
Einstellung. Wir finden es ganz prima, daß Du uns in Dein Geheimnis eingeweiht hast, es
ist Dir sicher nicht leicht gefallen, darüber zu schreiben. Ich glaube, daß wir auch
keine moralische Berechtigung haben, Deinen Schritt in irgend einer Weise zu mißbilligen,
denn es ist ja Dein Leben. Wir beide sind jedenfalls der Ansicht, daß eine Gemeinschaft
zwischen Männern nicht nur toleriert wird, sondern ein normaler Bestandteil unserer
modernen Gesellschaft ist. Was solls also, Mann oder Frau, Freund oder Freundin, wo
liegt denn da der Unterschied? Hauptsache ist doch, man mag sich, man versteht sich. Wir
mögen Dich so wie Du bist und so soll es auch bleiben. Und sollten wir im Urlaub mal
wieder Berliner Luft schnuppern, werden wir ganz bestimmt bei Dir aufkreuzen.
Selbstverständlich würden auch wir uns freuen, wenn Du Dich wieder mal sehen lassen
würdest.
Bis dahin alles Gute und herzliche Grüße
H. + Th.
PS: Eigentlich ist es vollkommen in Ordnung, daß Du öfter schreiben mußt, denn
unsere Briefe sind ja schließlich ellenlang.
Ein Lächeln kommt mir über die Lippen. Ach Gott, die Beiden. Onkel Hubert und Tante
Thea. Ich erinnere mich an die wenigen Minuten, die ich immer vor dem Training bei ihnen
war. Mein Zittern geht langsam zurück. Ich werde ruhiger. Schaue aus dem Fenster. Habe
ich richtig gelesen? Ich lese es noch mal. Hauptsache ist doch, man mag sich. Meine Augen
tränen. Ich sehe auf den Brief. Mein Onkel hat ihn von Hand geschrieben und ich habe
Mühe, die altdeutsche Schrift zu lesen. Meine Spannung fällt ab und ich fange an zu
lachen. Ich fühle mich so unsagbar frei. Ich springe durch mein Zimmer. Endlich haben sie
geantwortet. Wochen mühsamen Wartens. Mein Herz schlägt schnell.
Kai
Meine Arme fuchteln durch die Gegend. Lichtblitze treffen meinen Körper. Versetzen
mir Stromschläge. Treiben mich an. Weiter. Bässe durchdringen meinen Körper. Lassen
meinen Körper beben. Bewegen meine Beine wie von selbst. Meine Augen nehmen die Umgebung
nur Schemenhaft wahr. Fremde Menschen um mich herum. Leere Gesichter. Lachende Gesichter.
Kreischbunte Lichter blenden meine Augen. Machen mich für einen Augenblick blind. Von der
Welt entrückt. Meine Ohren registrieren nur noch ein dumpfes Hämmern. Die Welt
verschwindet langsam aus meinem Bewußtsein. Ich scheine zu schweben. Plötzlich Ruhe. Ich
bleibe stehen. Öffne meine Augen. Ich bin wieder im SchwuZ. Ein
Marianne-Rosenberg-Erschreck-Lied dröhnt durch die Boxen. Massen an übertrieben
grinsenden Gesichtern stürmen auf die Tanzfläche. Ich flüchte. Nur das nicht. Aus dem
Off beobachte ich die jubelnde Menschenmenge. Kreischend. Pfeifend. Trillernd.
Quietschend.
"Bist Du auch aus Bremen?" Ich sehe in ein freundliches Gesicht. Auch aus
Bremen? "Nein, wie kommst Du darauf?" "Ich habe gesehen, wie du mit dem
gesprochen hast" und zeigt auf einen Typen ein paar Meter von uns entfernt. "Den
kenne ich aus Bremen. Ich heiße Kai, wohne jetzt aber in Berlin." Er lächelt mich
an und reicht mir die Hand. Ich gebe ihm die Hand und wir unterhalten uns stundenlang.
"Ich muß langsam mal ins Bett" sage ich mit einem Gähnen. "Willst Du
nicht mit zu mir kommen?" fragt mich Kai. Der will, daß ich mit zu ihm komme? Ich.
Er sieht doch viel besser aus wie ich. Vor allem ist er viel schlanker als ich. Ich will
nicht weiter nachdenken. Auf dem Weg zu ihm sprechen wir nicht viel.
Wir steigen die Treppen in einem alten Neuköllner Haus hoch. Er schließt auf. Macht
Licht und ich gehe in das Zimmer. Er lächelt mich an. "Hast du noch Hunger?"
Ich schüttle nur den Kopf. Kai verschwindet in seiner kleinen Küche und kommt mit einem
Toast mit Salami drauf zurück. Er erzählt mir von seinen Eltern. "Sie wissen nicht,
daß ich schwul bin. Sie denken, ich studiere schön brav und..." mit einem
Schulterzucken bricht er im Satz ab. "Sie würden es nicht begreifen" redet er
nach einer Pause weiter. Kai zeigt mir das Bad. Man muß durch die Küche gehen, um ins
Bad zu kommen. Ich putze mir kurz die Zähne und komme zurück in sein Wohnzimmer.
Kai hat das Sofa zu einem Bett umgebaut. Er krabbelt in Shorts auf der Matratze herum
und zieht das Laken zurecht. Als er mich wahrnimmt steht er auf und umarmt mich. Gibt mir
einen Kuß auf den Mund und lächelt. Ich umfasse seine Hüfte und küsse ihn zurück. Kai
beginnt mich auszuziehen. Mein Hemd. Mein T-Shirt. Öffnet meine Hose. Zieht sie langsam
herunter. Ich komme mir dämlich vor. Er findet mich bestimmt häßlich. Er faßt nach
meiner Hand und zieht mich auf sein Bett. Streichelt meinen Körper. Ich beginne ihn zu
berühren. Seinen schmalen Schultern. Fahre mit meinen Händen über seine Brust. Die
Rippen sind deutlich zu spüren. Seine schlanke Taille. Kai zieht mir die Unterhose aus
und umfaßt meinen S*****z ohne Vorankündigung. Küßt mich. Umkrallt mit der anderen
Hand meine A****b****n. Ich schiebe meine Hand langsam in seine Shorts und fühle einen
dicken harten S*****z. Befreie ihn von seiner engen Umgebung und sinke mit meinem Kopf zu
ihm hinab. Er riecht gut. Und langsam umschließe ich ihn mit meinem Mund. Sauge daran.
Immer gieriger. Fester. Kai zieht meinen Kopf zu sich hoch und küßt mich. Unsere Zungen
spielen miteinander und unsere Hände erforschen unsere Körper. Seine Hände fahren über
meine A****b****n zwischen meine Beine. Wie durch einen Reflex öffne ich meine Beine für
ihn und ich spüre seine Finger an meinem Loch. Ein Finger bohrt sich langsam und
vorsichtig hinein. Zieht ihn wieder heraus. Plötzlich sind seine Hände verschwunden. Ich
öffne die Augen und sehe Kai, wie er in einem Regal etwas sucht. Er kommt mit einer
kleinen Flasche zurück. Öffnet sie und reibt mein Loch mit der glibberigen Flüssigkeit
ein. Seine Finger rutschen fast schon von selbst in mich hinein. Ich sehe, wie Kai sich
ein Kondom überzieht. Er drückt meine Beine nach oben und setzt vorsichtig seine Spitze
an mein Loch. Langsam schiebt er seinen S*****z in mich hinein. Ich atme ruhig. Entkrampfe
mich. Es dauert nicht lange und er ist in mir. Meine Beine umfassen seinen Körper. Mit
wippenden Bewegungen drückt er sich in mich. Immer tiefer. Ich werde wahnsinnig. Mein
Körper paßt sich seinem Rhythmus an. Wir verschmelzen. Meine Hände umgreifen seine
A****b****n. Kneten sie. Ich sehe, wie sich sein Körper bäumt. Seine Bauchmuskeln sich
anspannen und entspannen. Wir küssen uns. Unsere Zungen bohren sich in unsere Münder. Er
wird immer schneller. Mein Körper fängt an zu schwitzen. Meine nasse Haut reibt sich an
seiner. Kai fangt an zu vibrieren. Ich spüre, wie mein S*****z anschwillt und zu pochen
beginnt. Das Kitzeln wird immer stärker. Ich drücke Kais Körper an mich und dann
spritzt es aus mir heraus und nach einer ganzen Weile kommt dann auch er. Kai sinkt auf
mir zusammen und ich umschlinge ihn mit meinen Armen und Beinen. Ich spüre meinen Puls an
den Schläfen. Sein Herz schlägt schnell. Seine heiße und nasse Haut klebt an meiner.
Wir küssen uns und kuscheln uns aneinander und schlafen ein.
Grelles Licht weckt mich. Die Sonne scheint und das Zimmer ist hell. Weiße Wände und
weißes Bett reflektieren die Sonnenstrahlen und blenden meine Augen. Langsam gewöhnen
sie sich an den neuen Tag. Ich sehe Kai. Er schläft und ich betrachte sein Gesicht. Ich
lege mich auf die Seite und sehe ihn einfach nur an. Er ist so schön. Er blinzelt mich
kurz an und schläft gleich wieder ein. Meine Augen erfassen sein Gesicht. Wenn er sich im
Schlaf umdreht, registrieren meine Augen jede Bewegung. Er rollt sich auf die Seite und
ich sehe seinen schmalen Rücken und seine runden A****b****n. Ich traue mich nicht, ihn
anzufassen. Ich will ihn nicht wecken. Er dreht sich zu mir zurück und öffnet kurz seine
Augen. Lächelt und schlummert wieder ein. Nun sehe ich wieder sein Gesicht. Die Zeit
vergeht und zieht an mir vorbei. Ich nehme sie nicht wahr. Irgendwann ist Kai wach.
Streckt seine Hände zu mir aus und umarmt mich. Küßt mich. "Du hast ja kaum
geschlafen" murmelt er. "Ich habe Dich einfach angesehen" sage ich leise
und lächle ein wenig verlegen.
"Kaffee oder Tee?" Kai werkelt in seiner Mini-Küche und ich sehe ihm dabei
zu, wie er umständlich Kaffee in die Kaffeemaschine gibt. Die Küche ist so klein, daß
man nur allein darin sein kann. Als ich ins Bad möchte, muß Kai die Küche räumen. Ich
drücke mich an Kai vorbei und er drückt mir einen Kuß auf den Mund. Er lächelt und ich
möchte heulen. Kai zeigt mir die Dusche. Ich stelle mich darunter und lasse das heiße
Wasser auf meine Haut brausen. Mit nassen Haaren komme ich in das Zimmer zurück. Die
letzen Tropfen klatschen auf meine Haut. Kai hat das Bett wieder in ein Sofa zurück
verwandelt und den Tisch gedeckt. Ich schlürfe an dem Kaffee und schaue immer wieder Kai
an. Wenn er es bemerkt, werde ich leicht rot. Als ich meine Tasse endlich wieder einmal
abstelle umarmt mich Kai und küßt mich. Und fängt an, mich mit seinen Berührungen zu
verzaubern. Er zieht mich auf den Boden und küßt meinen Körper überall. Mein Mund
beginnt seine Haut aufzusaugen. Zu schmecken. Ich arbeite mich zu seinem S*****z vor und
nehme ihn gierig in den Mund. Ich lecke ihn, sauge daran und werde immer süchtiger nach
ihm. Ich knie über Kai und er bläst mir einen. Mein Körper zuckt und Kai grinst mich
frech an. Ich reibe an ihm weiter und plötzlich ist auch bei ihm alles naß. Meine Hände
durchwühlen seine S****h***e. Sein S*ft ist heiß und ich will ihn auflecken, aber Kai
hält mich zurück.
Die Sonne brennt durch das dreckige Busfenster. Mir wird warm und ich ziehe meine
Jacke aus. Meine Augen fliegen über die Straße. Menschen gehen spazieren. Kinder fahren
mit ihren Fahrrädern über den Gehweg. Ich fühle eine Wärme in mir. Ich fange an zu
lachen. Die Leute im Bus interessieren mich nicht. Ich steige in die U-Bahn und fahre
zurück nach Moabit. Als ich die Wohnungstüre öffne, erscheint mir mein Zimmer heller
und freundlicher als zuvor. Ich springe durch die Luft und drehe meine Anlage auf. Bis der
Nachbar von schräg gegenüber kommt. Mit zittrigen Händen drücke ich den weißen Zettel
an meine Pinwand über meinen Schreibtisch. Darauf steht die Telefon-Nummer und die
Adresse von Kai. Er hat sie mir einfach gegeben.
Am letzten Dienstag im Juli fahre ich wie gewohnt in die Kampagne. Ich bin spät dran
heute. Überstunden wegen einem verspäteten LKW aus Schweden. Egal. Mit einem breiten
Grinsen betrete ich das Kampagnenbüro. Frank sieht mich und lächelt mir zu. Nach seiner
Beratung kommt er zu mir. "Was ist los?" lächelt er mich an und drückt mich
kurz. "Ich glaube, ich bin verliebt" sage ich vorsichtig. "Das sieht
man" lacht Frank und will alles wissen. Ich erzähle ihm von Kai. Von seinem
Lächeln. "Was soll ich machen?" "Ruf ihn an!" sagt Frank, als
ob es das normalste der Welt wäre. "Meinst Du wirklich?" "Ja, ruf
ihn an!" Er lächelt mir aufmunternd zu. Sein Lächeln überzeugt mich.
Am nächsten Tag wähle ich mit Herzklopfen die Nummer von Kai. Es klingelt. Klingelt.
Meine Hände sind feucht. Ich schwitze. Ein kurzes Piepsen. Dann die Ansage auf seinem
Anrufbeantworter. Ein langer Piepton. Ich rede mit zittriger Stimme. Langsam lege ich den
Hörer auf das Telefon zurück. Wird er zurückrufen?
Als ich abends zurückkomme, blinkt mein Anrufbeantworter. Ich stürme auf ihn zu und
höre ihn ab. Er hat zurückgerufen. Mein Herz klopft. Es geht mir gut.
Wir treffen uns am Freitag abend im Drama. Ich komme in die Bar und mir fällt Thomas
ein. Vor einem halben Jahr war hier das große Drama. Was für ein blöder Wortwitz.
Trotzdem lächle ich. Ich sehe Kai und gehe auf ihn zu. Er küßt mich kurz und stellt mir
einen Freund vor. Schade, ich wäre lieber mit ihm alleine gewesen. Nach ein paar Bier
fahren wir zu ihm nach Hause. Ich tauche wieder ein in das Glücksgefühl des letzen
Wochenendes und lebe richtig auf.
Der Streß auf Arbeit macht mir nichts mehr aus. Die KDV-Beratung in der Kampagne und
im Mann-O-Meter erledige ich mit einem Lächeln. Selbst die miese Laune von Thomas, sein
ignorierendes Verhalten mir gegenüber, das alles geht an mir vorüber, als ob es mich
überhaupt nicht beträfe.
Coming Out in Raten Teil 3
Kempten, August 1993
Lieber Stefan,
vielen Dank für Deinen langen und ehrlichen Brief. Schickst Du mir bald ein Foto von
Dir? [...] Du hast es ja spannend gemacht mit Deiner Offenheit. Aber entsetzt, wie Du
vielleicht denkst, bin ich nicht. Das S*****l***n ist Sache jedes Einzelnen und es steht
keinem zu, darüber zu urteilen. Jeder muß sein Leben so leben, wie er es für richtig
findet. Ich finde es jedenfalls gut, daß Du mit der Wahrheit rausgerückt bist. Es läßt
sich so für Dich sicher besser leben. Was macht es schon aus, wen man liebt. Hauptsache,
man liebt überhaupt. Für mich und uns bleibst Du trotzdem der liebe Stefan, den wir
gerne sehen und uns freuen, wenn wir Dich treffen. Daß Dein Vater so toll reagiert hat,
finde ich super und freut mich besonders für Dich. Nach Deinen Briefen stelle ich fest,
daß Du Dir Deinen Humor bewahrt hast und das finde ich gut. Ich glaube, Du bist ein
großer Kindskopf, der aber sein Leben meistert. Darüber bin ich froh, da ich ja Deine
Taufpatin bin und mir Dein Wohlergehen schon sehr am Herzen liegt. Ich will damit sagen,
die Hauptsache ist, daß es Dir gut geht. Alles andere ist egal.
Das wärs mal wieder für heute. Ich hoffe, auch bald wieder etwas von Dir zu
hören. Und denke an das Bild.
Es grüßt Dich recht herzlich
Angelika mit Anhang.
Mir ist wohlig warm ums Herz. Nun wissen es alle. Alle, die es wissen sollen. Keine
Geheimnisse mehr. Kein Verstecken mehr. Ich denke an die Zeit früher. Wie oft bin ich bei
ihr gesessen und habe Caro-Kaffee getrunken. Haben uns unterhalten. Sie mochte mich immer
irgendwie. Und jetzt spüre ich es deutlich. Ich bin froh, daß mich niemand von ihnen
verstößt.
Meine linke Seite schmerzt. Kai hat mich überredet, einen Leberfleck an der Achsel
heraus schneiden zu lassen. Jede Bewegung schmerzt. Eigentlich nervt es mehr. Am Bahnhof
Zoo steige ich aus und gehe zum Zoo-Palast. Als ich Kai sehe stürme ich auf ihn zu und
will ihn umarmen. Aber Kai weicht mir aus. Ich trete einen Schritt zurück. "Ich will
das nicht in der Öffentlichkeit" sagt mir Kai zur Erklärung. Trotzdem tut es weh.
Mag er mich nicht?
Wir sehen den Film Tina und ich wundere mich, daß Tina Turner so
wahnsinnig toll lachen kann, obwohl sie so schreckliches erlebt hat. Nach dem Kino
spazieren wir an der Gedächtniskirche vorbei in Richtung Wittenbergplatz. Wir reden nicht
viel. "Was ist los?" frage ich ihn und er kann mir keine Antwort geben.
"Soll ich lieber gehen?" frage ich ihn und er antwortet mir immer noch nicht.
Tränen kommen mir in die Augen. Ich habe Angst, daß er mich gehen läßt. Einfach so.
"Ich gehe dann mal, Du kannst mich ja anrufen" sage ich und will zur U-Bahn.
"Nein." Kai sieht mich an. Wir fahren schweigend zu ihm nach Hause und legen uns
nebeneinander ins Bett. Kein Wort. Keine Berührung. Keine Zärtlichkeit. Ich sehe nur
seinen Rücken und dieses mal sieht er kalt und abweisend aus.
"Ich habe Angst, daß ich verprügelt werde. Einem Freund ist das schon mal
passiert. Deshalb will ich in der Öffentlichkeit nicht zeigen, daß ich schwul bin."
Ich nicke nur. "Was ist mit Deinen Eltern?" "Die würden mir das Geld
streichen, wenn die es wüßten." "Aber lebst du nicht sehr versteckt?" Kai
nickt. Jetzt ist er wieder freundlich. Als ich los will, umfaßt Kai meine Taille und wir
schlafen zusammen. Aber es fühlt sich nicht mehr so schön an. Als ich meine Hände
zwischen seine A****b****n gleiten lasse, zieht er sich zurück. Was hat er? Er liegt auf
mir und keucht und stöhnt. Meine Hände krallen sich in die Matratze. Ich liege reglos
unter ihm und warte. Bis er fertig ist. Dann steigt er von mir ab und dreht mich auf den
Rücken. Spukt in seine Hand und reibt mich. Bis es mir kommt.
Die Kabelstränge rasen an mir vorbei. Zeichnen zittrige Linien in den Tunnel. Die
U-Bahn rauscht in den Bahnhof ein. Hält kurz. Fährt weiter. Taucht ab ins Dunkel.
Wechselspiel. Wie meine Gefühle. Mag ich Kai, mag ich ihn nicht. Ich sehe aus dem Fenster
und meine Augen krallen sich an den Linien fest.
Ein paar Tage später bin ich wieder zu ihm gefahren. "Irgendwie bist Du manchmal
komisch." "Warum?" "Deine Einstellung zu Safer-S** finde ich
bescheuert. Du kannst doch nicht einfach das alles ignorieren." Kai redet pausenlos
auf mich ein. Was will er eigentlich? Je mehr Fragen er stellt, desto weniger antworte
ich. Ich stehe an der Zimmertüre und fange an zu weinen. Sinke auf den Boden. Jetzt erst
hört Kai auf zu löchern. Er streichelt mich. "Ich verstehe Dich nicht" sagt er
leise. "Es kann Dir doch nicht egal sein, ob Du Aids bekommst oder nicht." Ich
ziehe müde meine Schultern hoch und lege mich ins Bett. Rolle mich ein. Kai umarmt mich.
Aber nur kurz. Dann schlafe ich ein. Alleine.
Reise in die Vergangenheit
Langsam rollt der Zug in den Hauptbahnhof ein. "Kempten Allgäu Hauptbahnhof.
Kempten Allgäu Hauptbahnhof..." Es ist das zweite Mal in meinem Leben, daß ich mit
dem Zug hier ankomme. Damals kam ich aus der anderen Richtung. Mit sieben. Barbara winkt
mir, als sie mich hinter dem Abteilfenster sieht. Ich steige aus und wir umarmen uns kurz.
"Hallo Joachim!" Er ist groß geworden. Ich habe ihn Ewigkeiten nicht mehr
gesehen.
Wir fahren gleich zu Sieglinde und dann sind wir erst einmal damit beschäftigt, über
das Heim abzulästern. Das dauert. Nach so langer Zeit haben wir eine Menge nachzuholen.
Ich gehe durch die Fußgängerzone in Kempten. Alles wirkt klein und unwirklich. Gehe
am Horten vorbei Richtung Friedhof. Das Grab meiner Mutter hat keinen Grabstein mehr. Aber
der Rest scheint noch da zu sein. Die beiden Bäumchen sind größer geworden. Verwelkte
Blumen. Gestrüpp verdeckt die Oberfläche. Hinter dem Grab liegt noch eine alte Steckvase
aus häßlichem Grün. Es ist kalt an diesem Oktobermorgen. Die Sonne scheint schräg auf
den Friedhof. Niemand sonst ist hier. Stille. Absolute Stille. Ich sehe die Inschrift des
Grabsteins. Martha Strauch. geb. 23.9.1931. gest. 3.1.1977. Und plötzlich sehe ich wieder
diesen braunen Matsch unter meinen Schuhen. Die Schwester schaut zu mir herüber. Ich
halte ein Sterbebildchen in der Hand. Tränen laufen über meine Wangen. Ich schrecke
hoch. Die Tränen sind noch da. Ich sehe auf das Grab und drehe mich um. Es ist das einzig
ungepflegte Grab hier.
Ich gehe zurück zum Haupteingang und betrete die Leichenhalle. Wie früher immer. Ich
lese die Namen an den einzelnen Glastüren. Niemand ist offen dargestellt. Alle Särge
sind fest verschlossen. Früher war das anders. Die Luft ist aber geblieben. Mich treibt
es nach draußen. Die Sonne empfängt mich bei den Lebenden. Ein Bus brummt vorbei. Linie
10. Die Linie zu meinem früheren Zuhause. Ich renne zur Bushaltestelle. Der Busfahrer
sieht mich und wartet. Ich steige ein und fahre mit. Es sind nur zwei Stationen. Ich habe
es viel länger in Erinnerung. Die Stadt ist klein geworden. Ich steige aus und biege um
die Ecke, um die ich früher mit meinem Go-Cart gebrettert bin. Mit sechs, sieben Jahren.
Das alte Haus auf der rechten Seite wurde abgerissen. Aber das Haus, in dem wir zuletzt
lebten, steht noch. Langsam gehe ich darauf zu. Ich dachte, es war ein Hochhaus. Die
Klingelschilder zeigen andere Namen. Hier wohnt niemand mehr, der Strauch heißt. Ich lese
die anderen Namen und versuche mich zu erinnern. Aber es fällt mir nichts mehr ein. Kein
Name kommt mir bekannt vor. Oder doch? Ich bin mir nicht sicher. Ich grüble. Keine
Erinnerung.
Die Michaelskirche. Memminger Straße. Adenauerring. Alles sieht noch genau so aus wie
früher. Ich erkenne das Heim. Rot und grau. Schaut mich an. Als ich vor dem Betonklotz
stehe, kommt er mir lächerlich klein vor. 10 Jahre hast Du mich gefangen. Du Winzling.
Die Beton-Giraffen stehen noch immer vor dem Eingang. Häßlich sehen sie aus. Früher bin
ich ab und zu hinauf geklettert. Ich sehe an dem Haus hoch. Die Fenstervorsprünge, auf
denen ich langgelaufen bin. Mit Manfred. Ich lächle ein wenig. Das Gesicht von Karin
kommt mir in Erinnerung. Ich stehe hinter der Beton-Mauer. Geschützt. So sieht mich
niemand. Eine schwarze Gestalt öffnet die große braune Türe. Ich ducke mich und
verschwinde über die Wiese.
Ich gehe die Straße entlang zur Rückseite des Heimgeländes. Der Hof, der
Fußballplatz, alles kleiner als früher. Ich stehe am Gartenzaun und steige darüber. Es
war der einzig uneinsehbare Zugang zum Heim. Hier konnten die Schwestern nicht hinsehen.
Nach ein paar Metern bleibe ich stehen. Eine unsichtbare Wand läßt mich nicht weiter
gehen. Ich will es auch nicht. Also kehre ich um und steige zurück. Eine alte Frau kommt
vorüber, schüttelt den Kopf und murmelt etwas unverständliches. Ich verstehe den
Dialekt nicht mehr. Ich gehöre nicht mehr hier her. Ich gehörte niemals hier her.
Filou
Martina hat mir von Kemptens einziger Schwulen- und Lesben-Kneipe erzählt. Ich bin
gespannt, was mich da erwartet. Von außen sieht sie aus, wie jede andere Kneipe auch. Ich
komme in einen kleinen Gastraum und sehe nur wenige Menschen hier. Eine freundliche Frau
steht hinter dem Tresen und fragt mich, was ich trinken möchte. Ich bestelle ein Pils und
setze mich in die hinterste Ecke. "Du bist nicht von hier, nicht wahr?"
"Nein, ich bin von Berlin. Ich besuche meine Verwandten." Ich sehe eine Gruppe
junger Leute an einem Tisch sitzen. Ich blättere in den Zeitschriften. Die meisten kenne
ich von Berlin. Ich blase eine Wolke in den Scheinwerferstrahl und beobachte, wie sie sich
langsam auflöst. "Setzt dich doch zu uns, du mußt hier doch nicht alleine
sitzen." Ich verschlucke mich fast. "Aber ich kenne die doch gar nicht."
"Wenn du hier sitzen bleibst, wird sich daran auch nichts ändern" lächelt sie
mich an. "Los, komm rüber!" Ich stehe auf und setze mich an den Tisch. Sie
begrüßen mich kurz und reden dann weiter. Als ob ich schon immer dazu gehöre. Neben mir
sitzt ein hübscher Junge. Mit weißem Rollkragenpullover und mahagonifarbenen Haar. Die
Haarfarbe meiner Mutter. Er sieht richtig süß aus. "Woher kommst du?" Er hat
mich angesprochen. Ich werde rot und erzähle ihm von Berlin. Und daß ich hier
aufgewachsen bin. Er lächelt liebevoll und ich werde nervös. "Ich arbeite hier bei
Horten." Als die Kneipe schließt verabreden wir uns noch für Freitag. Wieder hier!
Auf der Fahrt zu Barbara geht mir dieser Junge nicht mehr aus dem Kopf.
Es ist 12 Uhr, als ich aufwache. Barbara ist beim Arbeiten. Joachim in der Schule. Ich
gehe in die Küche und finde einen liebevoll gedeckten Tisch vor. Ich trinke einen Kaffee
und laufe dann los. Ein Bus kommt vorbei, aber ich gehe lieber. Ich habe Bilder von Kai im
Kopf. Kai aus Kempten. Kai aus Berlin. Ich bin bestens gelaunt und hüpfe den langen Berg
zur Stadt hinunter. Die Fußgängerzone ist schnell durchquert. Alles langweilig. Ich gehe
zu meiner Tante Else. "Überraschung!" rufe ich einfach in die
Gegensprechanlage. Die Haustüre summt. Die Wohnungstüre ist angelehnt. Ich öffne sie
und sehe meine Tante in der Küche. Sie stößt einen Freudenschrei aus, als sie mich
sieht. "Ja, wo kommst denn du her?" Sie kommt auf mich zu und streckt mir ihre
Hand entgegen. Aber ich umarme sie einfach. "Aus Berlin" antworte ich frech. Es
macht Spaß, mit Else zu plaudern. Ich gehe ins Wohnzimmer und treffe dort auf zwei fremde
Menschen. "Das sind frühere Bekannte aus Fulnek. Du weißt, wo das ist?" Ja,
ich kenne Fulnek. Das Foto meiner Mutter mit Else und Thea. Fronleichnam 1936. "Sie
sind extra wegen meinem Geburtstag gekommen" lächelt mich Else an. "Wann hast
du denn?" "Na heute, du kommst genau richtig." "Das ist mir jetzt aber
peinlich." "Ach was." Ich beobachte meine Tante, wie sie mit den beiden
redet. Ich verstehe kein Wort. Sie reden tschechisch.
In der Dämmerung gehe ich zu meinem Vater. Der wird Augen machen. Ich klingle. Das
Fenster geht auf. Lore blickt heraus. "Der Stefan" höre ich sie sagen. Mein
Vater brummelt irgendwas und schon erscheint sein Kopf aus dem Fenster. Er grinst mich an
und zieht eine Grimasse. Ich muß lachen und gehe hinein.
Wir reden über viel. Über seine Arbeit. Über seine Urlaube. Über sein Auto. Über
die Verwandten von Lore. "Habt ihr Inge von mir erzählt?" Die beiden
verstummen. Lore bricht das Schweigen. "Nein, selbstverständlich nicht. Das bleibt
unter uns." Mein Hals schnürt sich zu. Sie schämen sich für mich.
Lore sitzt mir im Oberpaur-Café gegenüber. Sie druckst herum. "Du weißt, daß
ich meine Gefühle nicht so ausdrücken kann" fängt sie an. Ich nicke. "Es war
nicht leicht früher. Ich hatte Angst, daß ich überfordert sein könnte. Deshalb konnte
ich dich nicht zu uns nehmen." Ich nicke. Ich will das gar nicht hören. Es ist doch
okay jetzt. Es geht mir doch gut. Das ist doch Vergangenheit. "Es ist okay"
höre ich mich sagen. Wir trinken unseren Kaffee. Lore überrascht mich. Plötzlich zeigt
sie Gefühle. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir schweigen die meiste Zeit und gehen
dann wieder auseinander.
Abends treffe ich Peter und Elke im Café Zartbitter. Wir lachen und reden. Und als
ich auf die Uhr schaue, ist es schon kurz nach 12. Ich gähne übertrieben und wir
verabschieden uns. Ich eile ins Filou und frage die Frau hinter dem Tresen, ob sie Kai
gesehen hätte. "Er hat von neun bis zehn hier gewartet." Frustriert fahre ich
durch die leere Stadt. Vielleicht sehe ich ihn ja irgendwo. Um halb vier fahre ich dann zu
Barbara und falle todmüde ins Bett.
Am diesem Sonnabend haben die Geschäfte bis 16 Uhr geöffnet. Ich gehe durch den
Horten und suche nach Kai. Jede Abteilung durchforste ich mit akribischer Genauigkeit.
Bedienungen ignoriere ich, auch wenn sie mich freundlich fragen, ob sie helfen können.
Ich bin ganz oben angekommen. Die Teppichabteilung ist völlig leer. Die
Elektonik-Abteilung noch. Nichts. Kein Kai. "Hey, ich dachte schon, du hast mich
vergessen." Kai strahlt mich mit seinen dunklen Augen an." "Es tut mir
leid, ich war zu spät dran." "Schon gut, ich habe heute um vier Feierabend, du
kannst mich ja am Personaleingang abholen." "Diesmal werde ich pünktlich
sein."
Um mich abzulenken fahre ich zu Onkel Hubert. Er freut sich und zeigt mir, was er
alles in den letzen Jahren am Haus fertig gestellt hat. Um zehn vor vier verabschiede ich
mich wieder. Ich muß zu Kai. Hubert ist etwas nervös. "Wo bleibt denn Thea, sonst
ist sie um diese Zeit immer hier." "Sie wird bald kommen, vermutlich ist sie
noch einkaufen" sage ich und steige in Barbaras Auto.
Um kurz nach vier stehe ich vor dem Personaleingang von Horten. Viele Menschen kommen
heraus. Dann endlich. Kai. Er kommt zu mir. Meine Güte sieht der gut aus. Ich werde
verlegen und wir gehen erst einmal durch die Stadt. Die Fußgängerzone ist wie
leergefegt. Im Zentralhaus trinken wir einen Milchkaffee. Ich schaue ihm in die Augen und
er mir. Und manchmal berühren wir uns. An den Armen. Wie zufällig. "Wo könnten wir
denn jetzt hin?" fragt mich Kai. Es regnet aus Eimern. An der Stadtgrenze stelle ich
den Motor auf einem alten Parkplatz ab. "Ich weiß nicht, kennst du niemanden
hier?" Wir fahren zu Peter, aber er ist nicht zu Hause. Kai lotst mich zu einem
Bekannten. Der ist zu Hause. Sie unterhalten sich ein wenig. "Mußt du nicht noch
etwas erledigen?" fragt Kai seinen Bekannten und grinst. Der versteht auch sofort und
überläßt uns seine Wohnung. "In einer Stunde komme ich zurück!"
Kai sitzt neben mir. Unsere Schenkel berühren sich. Wir sehen uns an. Tief in die
Augen. Ich lege meine Hand auf seine Schulter. Um seinen Hals. Dann küssen wir uns. Tief
und innig. Ich fühle mich leicht und unbeschwert. Langsam ziehen wir uns gegenseitig aus.
Ich bin erschlagen von so viel Schönheit. Ich streichle über seine jungenhafte Brust.
Seinen Bauch. Streichle seine wenig behaarten Beine. Wir befreien unsere steifen S******e
aus ihrer Gefangenschaft. Ich spüre ein Verlangen und dann verwöhnen wir uns nach allen
Regeln der Blaskunst. Ich liege vor ihm auf dem Rücken und er küßt meine Beine entlang.
Es kitzelt ein bißchen. Aber es ist angenehm. Dann steckt er meinen großen Zeh in den
Mund, leckt meine Fußsohlen und das Kribbeln überträgt sich auf den ganzen Körper. Ich
bin wie elektrisiert und tue es ihm gleich. Ich küsse und schlecke ihn überall ab. Dann
nimmt Kai meine Hand und zieht mich ins Badezimmer. Ich knie mich vor ihm auf den Boden
und sauge seinen Steifen tief in mich ein. Plötzlich zieht Kai meinen Kopf zurück.
"Noch nicht." haucht er. "Mit Dir." Wir küssen uns und reiben unsere
Körper aneinander. Ich komme und kippe beinahe um vor Lust. Gleich darauf kommt Kai. Er
schwankt und ich halte ihn fest. Er lächelt mich an und wir küssen uns lange. Mit dem
Finger nehme ich etwas von seinem Liebessaft an seiner Schulter auf und schlecke ihn ab.
Ich sitze im Nachtzug nach Berlin. Das Licht ist schummrig. Die alten braunen
Lederbezüge sind überall ausgefranst. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen.
Kai. Mein Herz schmerzt. Ich will zurück zu ihm. Der Zug rauscht durch die Nacht und als
es langsam dämmert, trocknen die Tränen auf meiner Haut.
Ich träume von Kai aus Kempten. Wenn ich seinen Namen im Traum spreche, dann kann Kai
aus Berlin noch nicht einmal Verdacht schöpfen. Bei dem Gedanken muß ich grinsen. Ich
fahre zu ihm. Wir unterhalten uns nicht. Wir motzen uns nur an. Wir streiten. Werden laut.
Er hebt seine Hand und stößt mich auf das Sofa. Ich stehe wieder auf und atme schnell.
Mein Herzschlag rast. Ich zittere. Meine Körper steht unter Strom. Ich drehe mich um und
gehe ins Bad. Rauche eine Zigarette. Langsam werde ich ruhiger und lege mich hin. Am
nächsten Morgen stehe ich auf und Kai kommt zur Wohnungstür, als ich sie schon fast
zugezogen habe. "Hast du nichts zu gestern zu sagen?" Ich gehe einfach. Es war
eine schöne Zeit, Kai. Aber sie ist vorbei. Ich stolpere die Treppen hinunter und sehe
nicht einmal mehr zu seinem Fenster hinauf. Ich bin fort.
Zwei Anrufe
Hundemüde und völlig ausgelaugt komme ich um halb sieben am Sonntag Morgen zurück.
Es ist ein kalter und grauer Tag Ende November. Vor wenigen Tagen habe ich meinen Job bei
Schenker gekündigt. Ich habe einfach die Schnauze voll, dort zu arbeiten wie ein
wahnsinniger. Jetzt, wo drei Kollegen aus dem Import verschwunden sind, mache ich ihre
Arbeit mit. Ich zerbreche langsam.
Mein Anrufbeantworter zeigt zwei Anrufe an. Ich bin eigentlich zu müde, um sie
abzuhören. Aber meine Neugierde siegt. "Hallo, hier ist der Björn..." Tränen
schießen in meine Augen. Björn. Seit fast einem Jahr habe ich nichts mehr von ihm
gehört. Habe ich ihm Briefe geschrieben, die unbeantwortet blieben. Und jetzt sagt er,
ich solle einfach vorbei kommen? Meine Müdigkeit ist verschwunden. Ich quäle mich bis
neun zu warten und fahre dann zu ihm hin. Meine Finger zittern, als ich auf den
Klingelknopf drücke. Niemand öffnet. Vermutlich schläft er noch. Ich fahre zurück in
meine Wohnung und warte. Gehe unruhig auf und ab. Zwei Stunden später halte ich es nicht
mehr aus und ich fahre wieder zu ihm hin. Diesmal bewegt sich etwas. Ein Vorhang wird
beiseite geschoben. Die Türe summt. Ich trete ein und steige die Treppen hinauf. Björn.
Er steht da. Verschlafen mit T-Shirt und Shorts. Bekommt seine Augen kaum auf. Ich gehe
auf ihn zu. "Björn" kann ich nur sagen und dann umarmen wir uns. Lange.
"Du hast mir damals schon gesagt, ich solle mich von ihm trennen. Er hat mich
gefangen gehalten." Ich höre Björn zu. Er erzählt mir von seiner Geschichte. Von
seinem Ex-Freund. "Dieses Mal darfst du mich nicht wieder so lange warten
lassen" sage ich mit tränenerstickter Stimme. Ich sehe in seine Augen und sehe nur
Traurigkeit. Tränen in seinen Augen. Ich umarme ihn. Er geht ins Bundeswehrkrankenhaus
und ich drehe mich noch einmal um. Gerade sehe ich ihn noch um die Ecke verschwinden. Dann
fange ich an zu weinen und erkenne nichts mehr. Björn.
Lesbos
Es ist kurz nach fünf. Edith steht ein paar Meter von mir entfernt und sieht den
Flugplan durch. Ich gähne noch pausenlos und bekomme meine Augen nicht richtig auf.
Um 6.05 Uhr soll es losgehen. Wir warten. Um kurz vor sechs öffnet der Schalter. Die
Passagiere zeigen ihre Tickets und gehen an dem Schalter vorbei. Nach 10 Minuten ist der
Spuk vorbei. Alle sitzen in der Maschine. Als die Maschine startet drückt es mich in
meinen Sessel. Ich sehe verschlafen Berlin unter mir verschwinden und schließe meine
Augen.
Mit dem Bus werden wir nach Anaxos gefahren. Die Pension ist eigentlich eine
Baustelle, aber das stört uns wenig. Es gibt keinen Strom und kein Wasser. Die Besitzer
erklären uns, daß tagsüber oft der Strom abgeschaltet ist und Wasser gibt es nur
morgens und abends. Wir gehen in unser Zimmer und packen unsere Sachen aus. Wir sind zu
müde, um noch loszuziehen. Und so bleiben wir auf dem Balkon sitzen und unterhalten uns.
Es ist angenehm warm und ein lauer Wind haucht dem Tag neues Leben ein. Wir stehen auf
und die griechische Frau bringt uns das Frühstück. Als wir den Fensterladen öffnen
drückt die Hitze herein. Es ist gerade mal acht Uhr. Wir sitzen auf dem kleinen Balkon
und frühstücken. Aber nach wenigen Minuten halten wir die Hitze nicht mehr aus und gehen
zurück ins kühle Zimmer.
Wir gehen zum Strand. Ich habe meine Badehose angezogen und stürme in die Fluten. Ich
tobe mich durch das Wasser. Es ist angenehm kühl. Die Hitze fällt ab und ich bekomme
wieder einen klaren Kopf. Edith kommt mir hinterher. Wir lachen. Bespritzen uns. Am Strand
unterhalten wir uns.
Wir sind ins Zimmer nach hinten raus umgezogen. Dort ist es ruhiger. Vor allem nachts.
Wenn die jungen Kerle mit den Motorrädern herumfahren und kein Ende finden.
"Ich brauche Luft, sonst kann ich nicht schlafen." "Dann kommen noch
mehr Mücken herein und ich kann überhaupt nicht mehr schlafen" antworte ich ihr und
drücke die Balkontüre zu. Edith steht auf und öffnet sie wieder. Ich verkrieche mich
unter meiner Decke und höre es überall summen. Ich werde wahnsinnig. Jedesmal, wenn ich
fast eingeschlafen bin, schreckt mich ein Summen wieder hoch. Ich schütte eimerweise
Insektenmittel auf meine Haut, auf das Bettzeug. Aber es hilft nicht viel. Die Viecher
sind zäh. Und mich zermürben sie mit ihrem Angriff jede Nacht aufs Neue.
Am zwölften Tag fühle ich mich schlecht. Mir ist übel und ich lege mich nach dem
Frühstück einfach wieder hin. Edith sagt keinen Ton und verschwindet. Ich döse vor mich
hin und irgendwann fühle ich mich etwas besser. Ich packe mein Strandtuch und gehe zum
Meer. Entdecke Edith und setze mich neben sie. "Wollen wir noch nach Polyvos
fahren?" "Das ist jetzt ja wohl ein bißchen spät." Ich zucke zusammen.
"Na, dann eben nicht." Ich lege mich in die Sonne und schlafe ein wenig. Als ich
aufwache, ist Edith weg. Ich gehe zurück zur Pension. Edith sitzt auf dem Balkon und
liest. Ich sage nichts. Ich habe Angst.
In der Nacht wache ich auf. Edith hat die Balkontür und Fensterladen vollkommen
geöffnet. Ich stehe leise auf und will den Fensterladen schließen als sich Edith meldet:
"Laß die Türe offen, sonst bekomme ich keine Luft." "Durch die
Fensterläden kommt genug Luft" antworte ich nur und schiebe die Läden ein wenig zu.
Edith steht auf und schiebt mich auf die Seite. Sie fährt mich grimmig an und drückt sie
wieder auf. Ich fange an zu zittern. Aber ich schließe die Läden wieder. Edith drückt
mich wieder beiseite und öffnet sie wieder. "Reiz mich nicht" sage ich zu ihr.
"Willst du mir drohen?" fragt sie spöttisch. Ich schiebe sie von der
Balkontüre weg. Edith hält dagegen. Für einen Moment höre ich auf zu denken und
schubse sie auf ihr Bett. Sie fliegt förmlich in ihr Bett. "Spinnst Du?"
schreit sie mich an. Ich gehe wortlos in mein Bett zurück. Mein Körper zittert. Mir ist
übel.
Am nächsten Tag ist Edith verschwunden. Wortlos ist sie aufgestanden. Sie wohnt jetzt
in dem Zimmer vorn. Die Griechin schaut mich traurig an. Ich verstehe gar nichts. Wenn ich
Edith sehe, geht sie weg.
Ich gehe zu Fanni und leihe mir ein Motorrad aus. Mit 50 Sachen fahre ich die Insel
ab. Genieße meinen Tag. Auch ohne Edith. Sie will ja nicht einmal reden. Soll sie es
bleiben lassen. Ich fahre nach Molyvos und Mytilini, zur heißen Quelle nach Eftalon und
bleibe den ganzen Tag dort. Am nächsten Tag fahre ich nach Skala Kallonis. Am Nachmittag
gehe ich das letzte Mal ins Meer. Morgen früh ist Rückreise.
Unruhig drehe ich mich hin und her. Ich kann nicht einschlafen. Tausend Gedanken
schießen gleichzeitig durch meinen Kopf. Edith haßt mich. Kein Wunder. Ich bin ja auch
ein A***h. Ich schaffe es, daß sich alle von mir abwenden. Wie soll sich da jemand in
mich verlieben? Ich sitze auf dem Balkon und rauche eine Zigarette nach der anderen. Das
Rauchen hält die Stechmücken fern. Wenigstens etwas. Ich werde ruhiger. Ich sehe den
Mond und ich phantasiere mich in meine Traumwelt. Da bin ich ein geliebter Junge. Werde in
den Arm genommen. Festgehalten. Darf ich Fehler machen und werde trotzdem geliebt. Tränen
suchen sich ihren Weg über meine Wangen. Tropfen lautlos auf meine Brust und reisen
weiter, bis sie sich irgendwann in nichts auflösen.
Um sieben schrecke ich hoch. Die Sonne scheint mir mitten ins Gesicht. Zwei Stunden
geschlafen. Ich taumle durch den Raum und ziehe mich an. Packe meine Tasche, gehe hoch zu
Fanni und warte auf den Bus. Ich habe noch anderthalb Stunden Zeit. Ich muß verrückt
sein. Edith kommt um halb neun. Sieht mich nicht an. Wartet ein paar Meter von mir
entfernt. Als der Bus wenig später kommt, steige ich gleich ein und gehe ganz nach
hinten. Die Reiseleiterin schaut erst zu mir, dann zu Edith und setzt sich dann. Am
Flughafen müssen wir drei Stunden auf die Maschine aus Deutschland warten. Ich spüre
innere Unruhe. Angst? Am Flughafen Tegel ist Edith sofort verschwunden. Der Bus an der
Haltestelle ist leer. Ich steige in ein Taxi und fahre in meine Wohnung. Vorbei.
Am Abgrund
Ich gehe nur noch arbeiten, komme völlig geschafft abends zurück. Meine Kündigung
vom November 1993 habe ich zurückgezogen. Nachdem mir mein Chef Verbesserungen
versprochen hatte und mir mehr Geld bot. Da konnte ich nicht nein sagen. Seit Monaten
haben Gabi und ich nicht mehr abgerechnet. Wir kommen einfach nicht dazu. Jeden Tag häuft
sich noch mehr Arbeit an. Inzwischen habe ich schon zwei Abteilungsleiter verschlissen.
Mein neuer kommt zu mir. "Der Vorstand hat entschieden, daß sie ab sofort nur noch
abrechnen." Hat er das. Ich lächle müde. Gehe zum Chef und frage ihn nach seinen
Zusagen für Verbesserungen. Er antwortet nur ausweichend. Lacht mich aus. Wie konnte ich
so dumm sein und auf ihn hereinfallen.
Sie schaffen mir einen neuen Arbeitsplatz, weit weg vom Import und stellen mir die
Aktenberge auf den Tisch. Ich rechne ab. Hunderte von Akten. Meine Augen brennen. Die
Kiste vor mir flimmert. Mir wird kalt. Obwohl es draußen über dreißig Grad hat. Ich
packe meine Sachen und fahre zu meinem Hausarzt. Er verschreibt mir Antibiotika und
schickt mich nach Hause.
Als ich nach einer Woche wieder in der Firma erscheine, kommt einer vom Betriebsrat
auf mich zu. "Der Chef ist ganz schön sauer gewesen. Und er hat mich gebeten, ihnen
folgenden Vorschlag zu unterbreiten." Wir haben uns geeinigt. Ich werde gekündigt
und kassiere eine Abfindung. Ich werde ab dem 5. August freigestellt. Einen Tag vorher
gebe ich meine Schlüssel ab und verabschiede mich. Ich bin frei.
Ich hole kurz meine Badesachen und düse dann ins Poststadion. Zeit. Ich habe Zeit.
Viel Zeit. Was für ein wunderschöner Sommer. Fast täglich bin ich beim Baden. Abends
gehe ich auf Kneipentour. Aber ich bin allein. Niemand freut sich mit mir.
Michael ist viel mit mir unterwegs. Ich mag ihn ganz gerne, aber ich könnte mich
nicht in ihn verlieben. Wir betrachten schöne Jungs beim Baden. Lästern abends über die
Scene ab und verschwinden irgendwann am Morgen in die Betten.
"Ich bin noch nicht müde" sage ich zu Michael. Also geht er allein nach
Hause und ich bleibe in Toms Bar allein zurück. Ich trinke das, keine Ahnung
wievielte Glas Whisky-Lemon. Ich bin gefrustet. Starre auf die Riesenleinwand mit den
endlosen Pornos. F****n. F****n. F****n. Aber nie ein Freund zum liebhaben.
Ein junger Typ lächelt mich an. "Wie heißt Du?" Oh, er kann reden. Wir
unterhalten uns ein wenig. "Hast Du Lust?" "Hm?" "Komm!" Ich
folge ihm wie in Trance. Er geht in eine Klokabine und schließt die Türe nach mir ab.
Zieht sich die Hose runter. Dann mir. Drückt mich nach vorn und dann dringt er in mich
ein. Er stöhnt. Wird schneller. Dann hört er plötzlich auf. "Jetzt Du." Er
dreht sich um und streckt mir seinen A***h entgegen. Mein S*****z wird schlaff. Ekel
steigt in mir hoch. "Ich will nicht" sage ich kurz. Öffne die Türe. Gehe
schnell durch die Kneipe hinaus auf die Straße. Würgereiz. Ein Taxi steht vor der
Kneipe. Ich steige ein. "Nach Moabit" kann ich noch sagen. Der Fahrer fährt ab.
Weg. Ich drehe mich nicht um. Nur weg von hier. Weg.
Ich schließe mich zu Hause ein. Abends. Gehe nicht ans Telefon. Tagsüber gehe ich
mit Michael baden. Abends hocke ich zu Hause herum. Michael kommt vorbei. Holt mich ab.
Wir gehen in die Kneipen. Wieder. Ich langweile mich. Wir reden über so viele Dinge, daß
ich sie völlig durcheinander bringe. Michael scheint das nicht zu stören. Wir lachen,
aber eigentlich ist es nicht lustig.
Zu Hause
Mittwoch sitze ich wie immer im Mann-O-Meter. Thomas sitzt mir gegenüber und
ignoriert mich noch immer. Michael redet pausenlos. Die Türe öffnet sich. Ich sehe zur
Tür und erkenne Linus. Er war Ende letzen Jahres mal hier gewesen. Kurz vor seinem 25.
Geburtstag bekam er Ladungen zur Musterung. Ich habe ihm gesagt, er soll einfach nicht
hingehen. Und er ist nicht hingegangen. Damals hatte er noch lange Haare. Jetzt hat er
ganz kurze. Er sitzt mir gegenüber. Mit offenen Hemd. Ich sehe seine nackte Brust und
seinen nackten Bauch. Als er zu mir sieht, schaue ich schnell weg. Es ist mir peinlich.
Meine Hände werden feucht. Ich bin nervös und habe Schwierigkeiten, mich auf die
Beratung zu konzentrieren.
In der U-Bahn hole ich mir das Bild von eben zurück. Linus. Er sieht genial aus. Er
ist viel zu hübsch für mich. Lächelt immer etwas verlegen. So zurückhaltend. Ich
verdränge meine Gedanken.
Am nächsten Mittwoch kommt er wieder. Wir reden über die Vereinsgründung und fragen
Linus, ob er mitmachen will. Er will. Ich freue mich. Von nun an sehe ich Linus jeden
Mittwoch.
Am 1. Oktober haben wir eine Informationsveranstaltung bei der AHA. Viele junge
Schwule sind da, um sich über die Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerung zu
informieren. Ich sitze neben Linus an der Bar. Wir unterhalten uns. Ich frage ihn nach
seinem Coming Out. Er beginnt zu erzählen, aber wir werden gleich unterbrochen. "Es
geht los" sagt Thomas kurz angebunden und dreht sich gleich wieder weg. "Ich
höre gerne Coming-Out-Geschichten. Du mußt mir unbedingt ein anderes Mal weiter
erzählen!" Linus gibt mir seine Telefon-Nummer.
Am Freitag eine Woche später sitze ich im Waschsalon und verfolge die Drehungen
meiner Maschine. Links herum. Rechts herum. Beim Schleudern kommen meine Augen nicht mehr
mit. Wie meine Gedanken. Kreisen um Linus. Soll ich ihn wirklich anrufen? Beim Wäsche
aufhängen schaue ich immer wieder auf den Zettel mit seiner Telefon-Nummer.
Ich wähle seine Nummer. Bin ganz ruhig. "Ich würde mir gerne deine
Coming-Out-Geschichte weiter anhören" sage ich leise. Minuten später gehe ich zum
Bus. Ich fahre zu ihm. Vor einem riesigen Hochhaus in Spandau suche ich seine Klingel.
Siebte Etage sagte er. Ich finde sie und drücke zweimal kurz hintereinander auf das
Namensschild. Es summt und ich hechte zur Türe. Der Fahrstuhl braucht eine Ewigkeit.
Endlich erscheint die sieben. Ich steige aus und sehe Linus im Hausflur stehen. "Der
andere ist schneller" lächelt er mir zu. Und zeigt auf einen zweiten Fahrstuhl um
die Ecke.
Ich betrete seine Ein-Zimmer-Wohnung. Sie gefällt mir. Überall nur Regale. Keine
Schränke. Das liebe ich. Alles offen. Keine verschlossenen Türen.
Wir setzen uns auf den Boden und trinken Tee. Linus erzählt von seinen Eltern. Zeugen
Jehovas. Von seinem Auszug. Von seinem Coming-Out. Er fragt mich. Wie ich zum Verein kam.
Ich erzähle ihm von meiner Bundeswehrzeit. Vom Bundeswehrkrankenhaus. Von Björn. Dann
erzähle ich ihm vom Heim. Von den 10 Jahren. Linus schaut mich liebevoll an. Steht auf.
Streichelt mit einer Hand über meinen Kopf. "Du Armer. Deine Augen sehen immer so
traurig aus." Linus verschwindet im Bad. Ich fühle mich frei. Ungezwungen. Ich habe
das Gefühl, Linus schon ewig zu kennen. Als er zurückkommt reden wir weiter. Draußen
ist es längst dunkel. Als ich das letzte Mal zur Uhr sah, war es schon nach Mitternacht.
Ich überlege, wie ich nach Hause komme, da steht Linus auf und zieht sich bis zur
Unterhose aus. "Ich gehe jetzt duschen" und verschwindet im Bad. Ich höre das
Wasser der Dusche laufen. Was soll ich jetzt tun? Ich überlege, einfach zu gehen. Ich
gehe zur Badezimmertüre. Das ganze Bad ist seine Dusche. Durch den schmalen Spalt sehe
ich ihn. Mein Herz schmerzt. Will zu ihm. Ich ziehe meine Klamotten aus und öffne langsam
die Türe. Linus grinst mich an. Ich bin total nervös. Stelle mich unter das Wasser und
versuche einen klaren Kopf zu bekommen. Durch die Spiegelkacheln betrachte ich Linus
Körper. Ich drehe mich zu ihm um. Er lächelt mich an. Linus dreht das Wasser aus, nimmt
ein Handtuch und fängt an, mich abzutrocknen. Sanft drückt er den Stoff an meine Haut.
So zärtlich. Als ob meine Haut bei der geringsten Belastung bersten würde. Ich nehme ein
anderes Handtuch und trockne ihn damit ab. Ich sehe seinen Körper von so nah. Ich möchte
ihn anfassen. Berühren. Linus geht aus dem Bad und ich folge ihm. Unbeholfen. Er setzt
sich aufs Bett und ich setze mich zu ihm.
Wir küssen uns. Wir berühren uns. Ich lasse mich fallen. Ich bin zu Hause. Zu Hause.
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