kirisk.de

:: Mein Leben

:: : Prolog
:: : 10 Jahre
:: : Die Flucht
:: : Tränen
:: : Zurück ins Leben
:: : Epilog

:: : Der Brief
:: : Bücher

:: : Fotoalbum
:: : La Palma

:: Reaktionen

:: : Erzeuger
:: : Post
:: : Presse

:: Online-Familie

:: : male
:: : female

:: Links

:: : Missbrauch
:: : Suizid
:: : allg. Hilfe
:: : sonstige

:: Kontakt

:: Impressum

Zu Hause ist wo anders - Zurück ins Leben

 

 

Antworten

Kempten, den 31. August 1992
Hallo Stefan,

danke für Deinen lieben und langen Brief. Ich hoffe, daß es mit der Bundeswehr noch gut ausgeht, das wünsche ich Dir von ganzem Herzen. Stefan, und jetzt zu Deinem Problem. Ich kann zu der Sache nicht viel sagen, weil ich mit der Sache noch nicht konfrontiert wurde und ich will und kann nicht über jemanden den Stab brechen, nur weil man eben anders ist, als im gemeinen. Stefan es ist klar, daß ich etwas gekränkt bin, weil im geheimen habe ich doch gehofft, bei meinem Sohn Opa zu werden. Mein Junge, es gibt im Leben eben Dinge, die man bewältigen muß, denn das Leben geht immer weiter. Hallo Sohnemann, auf eines kannst Du Dich verlassen, ich werde Dich als Sohn und Freund genau so lieben wie vor, also schnaufe richtig durch und zerbrich Dir den Kopf nicht mehr. Stefan, ich habe und hätte viele Fragen, aber da setzen wir uns einmal zusammen und bereden alles in Ruhe. Wegen der Lore brauchst Du Dir überhaupt keine Sorgen machen, denn sie ist toleranter noch als ich und steht ganz auf Deiner Seite. Weißt Du, Stefan, Du und ich haben meiner Frau schon manchmal unrecht getan, weil sie kann ihre Gefühle nicht so offen darlegen, wie es sein sollte. Du sollst auch wissen, daß Lore es war, als sie den Brief gelesen hatte gleich für Dich Partei ergriffen hatte und Du in ihren Augen genauso ein vollwertiger Mensch bist, wie jeder andere. Stefan, Du wirst schon Deinen Weg gehen, wahrscheinlich genauso wie ich und meine Frau und viele andere, aber bitte sei vorsichtig, schau Dir Deinen Freund an und zwar ganz genau, damit Du vor Schaden bewahrt bleibst. So nun werde ich Schluß machen und wünschen Dir toi, toi, toi und alles Liebe

Deine Eltern


Tränen laufen über meine Wangen. Das hat mein Vater wirklich geschrieben? Sohnemann. Mein Junge. Deine Eltern. Mein Körper vibriert leicht. Ich hatte solche Angst, daß er niemals antworten würde. Und jetzt schreibt er. Mein Vater. Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, ich würde bei ihm wohnen. Eine Familie. Eine richtige Familie.

Ich lege den Brief wieder weg. Seit Wochen lese ich ihn. Immer wieder. Ich bin kaputt vom Arbeiten, aber ich will noch mal hinaus. Es ist kühl draußen an diesem 1. Oktober. In dem alten Friedhof unweit der Autobahn finde ich Ruhe. Vögel zwitschern. Wie lange habe ich das schon nicht mehr wahrgenommen. Ich sehe auf die Grabsteine. Geb. 15.04.1928 - Gest. 03.11.1944. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Gerade mal 16 Jahre alt ist der Junge geworden. Ich empfinde Trauer für diesen Menschen. Dagegen geht es mir ja richtig gut. Auf den anderen Steinen sind die Sterbedaten nahe beieinander. 1939 bis 1945. Gedankenverloren gehe ich durch die Grabreihen hindurch.

Bilder vom Entlassungstag in der Kaserne gehen mir durch den Kopf. Es kommt mir vor, als sei es vor Ewigkeiten gewesen. Dabei war es erst gestern. Ich fühle mich frei. Endlich. Bilder vom Bundeswehrkrankenhaus. Björn. Björn. Was ist mit dir. Wir haben uns noch ein paar mal getroffen. Meine Augen brennen. Wir können uns nicht treffen, sagt Björn. Am Telefon. Wegen seinem Freund. Seiner Eifersucht. Weswegen eigentlich?

Thomas

"Ich freue mich Dich zu sehen" grinst mich Thomas breit an. Bei seinem Grinsen muß ich immer lachen. Er ist sehr lieb zu mir. "Wollen wir was zusammen unternehmen?" Ich schüttle nur den Kopf. "Lieber nicht." Ich stehe etwas unbeholfen auf dem Bahnsteig und weiß nicht wo ich hinsehen soll. "Mir ist kalt" sage ich nur. "Laß‘ uns zu mir fahren, dann koche ich Dir einen heißen Tee. Einverstanden?" Ich nicke und wir fahren wortlos zu ihm nach Hause. Ich beobachte ihn. Er ist wirklich nett. Und so freundlich. Lächelt mich immer an. Das bin ich gar nicht gewohnt. Wir kennen uns jetzt seit fast zwei Monaten und er scheint mich zu mögen.

"Komm rein!" Thomas geht in seine dunkle Wohnung und macht ein paar Lichterketten an. Ein angenehmes Licht durchdringt den Raum. Thomas klappert in der Küche mit Geschirr. Ich folge ihm und beobachte ihn dabei. Die Wohnung gefällt mir. Überall verspielter Kram und viel Kitsch. So sieht also die Wohnung eines Schwulen aus, denke ich mir. Meine entspricht dem wohl nicht. Ich ziehe meine Schuhe aus, setze mich aufs Bett und ziehe meine Beine an. "Hier." Thomas hält mir eine Tasse Tee hin. Ich trinke in kleinen Schlucken. Wir reden. Über die Zeit im Bundeswehrkrankenhaus. Über das anstehende Strafverfahren. Über ihn. Über mich. Aber ich erzähle ihm nicht viel. Vom Heim. Von meinem Umzug nach Berlin. Thomas scheint mich zu bewundern.

Ich muß langsam los. Meine Schuhe, wo sind meine Schuhe? Panik ergreift mich. "Was suchst Du denn?" fragt mich Thomas. "Meine Schuhe, wo sind sie? Ich muß los. Es ist schon spät." "Ich habe sie hinaus gestellt in den Flur. Aber jetzt fährt keine U-Bahn mehr. Mit Nachbussen brauchst Du Stunden." Ich weiß. Ratlos schaue ich ihn an. "Du kannst hier übernachten, kein Problem." Ich nicke nur.

Seine Hände berühren meine Schultern. Meinen Hals. Er fährt mit seinen Händen unter mein T-Shirt. Berührt meine Brust. Meinen Bauch. Meinen Rücken. Ich bin bewegungslos und verfolge im Kopf jede seiner Bewegung. Meine Augen sind geschlossen, aber ich spüre, wie er mich ansieht. Langsam zieht er mir das T-Shirt über den Kopf. Ich lasse es geschehen und spüre seine Haut an meinem Rücken. Seine Hände streichen über meine Brust, über meinen Bauch. Tasten sich langsam über meine Lenden hinunter zu den Beinen. Meine Shorts spannt. Er streichelt meine Schenkel und kommt innen langsam immer höher. Seine Hände berühren meine Erregung und mein Körper vibriert leicht. Noch immer kann ich mich nicht bewegen. Seine Hände ziehen achtsam meine Shorts nach unten. Ich liege da. Nackt. Ausgeliefert. Gleich wird er mich fortjagen, wenn er mich so sieht. Statt dessen verschwindet sein Kopf zwischen meinen Beinen und ich spüre, wie er mit der Zunge über meine E**r fährt. Den S*****z hoch. Und dann nimmt er ihn in den Mund. Saugt daran. Auf und ab. Immer schneller. Nimmt die Hand dazu. Streichelt mit der anderen meine E**r. Meine Beine. Meine Brust. Meinen Bauch. Seine Hände sind überall. Ich atme schneller. Meine Hände wollen sich zu ihm hin bewegen, aber sie gehorchen mir nicht. Sie zittern nur. Manchmal mehr. Es müßte ihm auffallen, aber er sagt nichts. Mein Herz schlägt immer schneller. Seine Hand reibt schnell auf und ab. Sein Mund folgt ihr dabei, als wären sie miteinander verbunden. Ich schließe meine Augen. Es wird dunkel. Ein Kitzeln steigt zwischen meine Beine. Mein Körper zuckt. Will sich aufbäumen. Aber er ist gelähmt. Meine Hände scheinen um sich zu schlagen, aber sie liegen ruhig neben meinem Körper, als gehörten sie nicht dazu. Thomas bewegt seinen Kopf jetzt nur noch langsam auf und ab. Saugt den letzten Tropfen auf. Läßt mich los. Legt sich neben mich und umarmt mich.

Seine Hände wecken mich am nächsten Morgen. Streicheln um meine Hüften. Meinem Bauch. Er findet mich bestimmt total dick. "Na, gut geschlafen?" grinst mich Thomas an. "Ja" sage ich nur und nicke dazu. "Ich liebe Dich." Ich sehe ihm in die Augen. Wirklich? "Du siehst total süß aus." Ich werde rot und drehe meinen Kopf wieder zur Seite. Ein schwacher Lichtstrahl kommt durch den fast verschlossenen Rolladen. Es ist zu dunkel, als dass er es bemerken könnte. "Bleib‘ einfach liegen. Ich mache Frühstück. Bis gleich. Thomas verschwindet in der Küche und ich schaue in diesen Lichtstrahl.. Ich mag ihn ja auch. Aber ich will ihn nicht küssen. Er zwingt mich ja auch nicht dazu. Es ist okay.

Thomas kommt mit einem großen Tablett zurück. "Wow, so ein riesiges Frühstück" staune ich und er grinst mich an. "Das mache ich nur für ganz besondere Leute." Es ist mir peinlich und ich setze mich auf, ziehe die Decke um mich herum und greife nach der Kaffeetasse. Gewohnte Dinge.

"Was hast Du nach dem Bundeswehrkrankenhaus die ganze Zeit gemacht? Du warst wie verschwunden?" Also erzähle ich Thomas von meinem ersten Ausflug in die Scene. "Ich war in der Bierbar in Kreuzberg und habe mir ein bißchen Mut angetrunken und ging dann ungefähr um fünf in die WuWu-Bar. Die war da allerdings schon völlig leer." Ich fange an zu lachen: "Das war wirklich dämlich." Ich wundere mich über meinen Humor. Damals war mir kotzübel, als ich in die Kneipe ging. Das erste mal. Eben.

(278) 62 Js 259/92 (134/92)

Ich sitze vor dem Gerichtssaal im Amtsgericht Moabit. Ich bin total nervös und zittere leicht. Rauche eine Zigarette nach der anderen. Wo bleiben die anderen. Wo bleibt mein Anwalt. Ich lese noch einmal meine Notizen durch.

Ich starre an die Tafel vor dem Gerichtssaal. Ein maschinengeschriebener Zettel hängt daran. 26.11.92 13.30 Uhr Saal III/768. Es ist kurz nach eins und ich gehe unruhig die weiten Gänge auf und ab. Wo bleiben die nur. Meine feuchten Hände streife ich in regelmäßigen Abständen an meiner Hose trocken. 13.10 Uhr. Ich gehe aufs Klo, muß aber gar nicht. Schaue mich im Spiegel an. Ich erkenne mich kaum. Mit Hemd und Pullover darüber. So bin ich seit Jahren nicht mehr herum gelaufen. Es wird schon wirken. Schließlich sind das alles Beamte hier. 13.14 Uhr. Ich gehe zurück zu der Bank vor dem Saal und starre an die Decke. 13.21 Uhr. 13.22 Uhr. 13.23 Uhr. 13.24 Uhr. Schritte. Ich stehe auf und da kommen sie endlich. Frank und Thomas. Ich umarme die beiden nur kurz. Ich rauche noch eine Zigarette. "Mach‘ Dich nicht verrückt, es wird gut gehen!" betont Frank übertrieben. "Ich weiß nicht" und renne wieder durch die Gänge. Wieder Schritte. Ich schaue in den Gang. Der Hauptmann und der Spieß. Sie kommen auf mich zu. Schütteln uns die Hände. Der Spieß redet ein wenig mit mir. "Ach, es wird schon gut gehen, jetzt, wo sie ausgemustert sind." Der Hauptmann schweigt. Er ist noch immer sauer auf mich. Ich ignoriere die beiden. Oder versuche es zumindest. 13.27 Uhr. "Wo bleibt KaJo?" will Thomas wissen. Ich ziehe nur die Schultern hoch. Ich weiß es nicht. 13.29 Uhr. Noch eine Zigarette. Hände trocken streifen. Ich werde langsam verrückt. Mein Herz rast. Meine Hände sind nicht mehr trocken zu kriegen. 13.30 Uhr. Die Türe öffnet sich. Ein Uniformierter kommt heraus. "Es dauert noch ein wenig" und verschwindet wieder. 13.31 Uhr. KaJo. Endlich. Mit wehender schwarzer Robe kommt er um die Ecke. "Die mußten noch meine Bohrmaschine quittieren, mit der darf man hier ja nicht rein." KaJo lacht. Frank lacht. Thomas lacht. Ich nicht. Mir ist kotzübel. Mein Zittern wird immer heftiger. Ich zünde mir noch eine Zigarette an, als sich die Türe öffnet. Fremde Personen kommen heraus. "Gleich geht es weiter" sagt der Uniformierte und schließt die Türe hinter sich. KaJo sagt irgendwas zu mir, aber ich verstehe ihn nicht. Meine Gedanken sind weg. Alles ist leer. Nichts ist in mir. Ich nicke, damit KaJo wenigstens denkt, ich höre ihm zu.

"In der Strafsache gegen Stefan Strauch bitte alle Beteiligten in den Gerichtssaal 768. Wir gehen hinein. Ein Mann in einer schwarzen Robe sitzt hinter einem Tisch an der Fensterseite. KaJo zeigt mir meinen Platz. Ich sitze dem Staatsanwalt genau gegenüber. Er sieht mich kurz an und liest dann in seinen Akten weiter. Frank und Thomas sitzen Ewigkeiten von mir entfernt hinter einer Holzbank. Davor der Hauptmann und der Spieß. Eine Türe an der Stirnseite des Saals öffnet sich und eine Frau und drei weitere Personen kommen herein. Alle stehen auf. Also auch ich. Nur nicht auffallen. Die Richterin setzt sich und ruft die Hauptverhandlung auf. Sie fragt nach meinen Personalien und denen der Zeugen. Danach schickt sie den Hauptmann und den Spieß nach draußen.

"Herr Staatsanwalt, bitte." Der Staatsanwalt räuspert sich und fängt an zu lesen: "Stefan Strauch, geboren am 20. Juli 1969 in Kempten/Allgäu, Verteidiger Rechtsanwalt KaJo Frings, Gneisenaustraße, Berlin, wird angeklagt, in Berlin vom 1. Oktober 1991 bis zum 3. Mai 1992 und seit dem 6. Mai 1992 durch zwei selbständige Handlungen eigenmächtig seiner Truppe ferngeblieben zu sein, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst dauernd zu entziehen, indem er trotzt Erhalts des Einberufungsbescheides vom 8. August 1991, zugestellt am 30. August 1991, nicht seinen Wehrdienst beim 3./Jägerbataillon 581 in O-1193 Berlin am 1. Oktober 1991 antrat und nachdem ihn die Feldjäger des Bataillons am 4. Mai 1992 zu seiner Einheit gebracht hatten, er diese am 6. Mai 1992 eigenmächtig verließ und ihr seitdem fernblieb, weil er niemals Wehrdienst leisten will.

Vergehen, strafbar nach §§ 16 WStG, 53 StGB.

Beweismittel:

Zeugen:

1. Hauptmann Müller

2. Stabsfeldwebel Kunze

Urkunden:

Einberufungsbescheid vom 8. August 1991

Beiakten:

1. Personalakten des Kreiswehrersatzamtes Berlin

2. Prozeßakten der Wehrbereichsverwaltung VII.

Wesentliches Ermittlungsergebnis:

Das Kreiswehrersatzamt Kempten musterte den Angeschuldigten am 10. März 1988. Daraufhin verzog der Angeschuldigte nach Berlin, um sich augenscheinlich der Einberufung zu entziehen.

Im April 1991 übersandte das Kreiswehrersatzamt Kempten die Personalunterlagen des Angeschuldigten an das nunmehr zuständige Kreiswehrersatzamt Berlin.

Gegen den Einberufungsbescheid vom 8. August 1991, zugestellt durch Postzustellungsurkunde am 30. August 1991, legte der Angeschuldigte mit Schreiben vom 10. September Widerspruch ein. Das Kreiswehrersatzamt leitete diesen an die Wehrbereichsverwaltung VII in Strausberg weiter und wies den Angeschuldigten im Schreiben vom 16. September 1991 darauf hin, daß der Einberufungsbescheid über den eingelegten Widerspruch seine volle Gültigkeit behalte, mithin der Angeschuldigte in jedem Fall seinen Wehrdienst anzutreten habe.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 1991 wurde der Widerspruch von der Wehrbereichsverwaltung VII als sachlich unbegründet zurückgewiesen, da die Einberufung keine besondere Härte gemäß § 12 Absatz 4 Satz 1 Wehrpflichtgesetz für den Angeschuldigten darstellt.

Daraufhin erhob der Angeschuldigte Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluß zurückgewiesen und die Klage durch Urteil vom 18. Februar 1992 abgewiesen.

Obwohl schon sein Widerspruch abschlägig beschieden und er auf die Rechtsfolgen hingewiesen worden war, trat der Angeschuldigte am 1. Oktober 1991 nicht seinen Wehrdienst an.

Am 4. Mai 1992 griffen die Feldjäger des Bataillons den Angeschuldigten auf und brachten ihn gegen 19.30 Uhr zu seiner Einheit. Dabei äußerte sich der Angeschuldigte dahingehend, daß er sich auf jeden Fall dem Wehrdienst entziehen werde. Am 6. Mai 1992 erschien er erneut nicht zum Dienst und blieb seitdem seiner Einheit fern. Der Angeschuldigte ist als Totalverweigerer anzusehen."

Die Richterin sieht mich an. "Möchten sie sich dazu äußern?" "Ja" antworte ich und will gleich los reden. Aber die Richterin spricht weiter. Die Ereignisse nach dem 6. Mai werden zu Protokoll gegeben. Weitere Feldjägereinsätze. Bundeswehrkrankenhaus. Ausmusterung.

Dann fragt mich die Richterin, warum ich nicht zum Wehrdienst angetreten bin.

"Ich konnte es nicht" fange ich leise an zu sprechen. Ich schaue auf meinen Zettel, aber ich brauche ihn nicht mehr. Ich habe wieder alles in meinem Kopf. In meinen Nervenbahnen. In meinen Adern. Es spricht von selbst aus mir heraus. Ich rede und höre mir dabei zu. Ich nehme nichts mehr um mich herum wahr. Nur meine Stimme. Sie spricht. Ruhig. Leise. Dauerhaft. Immer weiter. Ohne Pause. Sie scheint keine Luft holen zu müssen.

Nach einer Stunde und fünfzehn Minuten hört sie auf. Stille. Lautlosigkeit. Die Richterin schaut mich an. Sagt nichts. Der Staatsanwalt. Die beiden Schöffenrichter. Frank. Thomas. Sie alle schauen mich schweigend an. KaJo sitzt hinter mir und schreibt etwas auf. Nickt mir zu. Lächelt. Der Staatsanwalt durchbricht als erster die Stille. "Ich hätte gerne eine Unterbrechung." Die Richterin stimmt zu und der Staatsanwalt verschwindet schnell hinter der großen braunen Holztüre.

Wir gehen hinaus. Ich zünde mir gleich eine Zigarette an. Die Anspannung fällt schlagartig. Mein Körper zittert wieder und ich atme schnell und ungleichmäßig. Frank kommt auf mich zu und umarmt mich. Streichelt mir über den Rücken. Ich kann kaum etwas sagen. Meine Stimme will nicht mehr sprechen. Ich krächze nur noch. Thomas schaut mich mit großen Augen an. KaJo will mich aufmuntern, aber ich höre nichts. Ich bemerke den Hauptmann und den Spieß. Sie sitzen auf der Bank und schauen nur. Wortlos. Der Staatsanwalt stürmt an uns vorbei und verschwindet ebenso schnell wieder. "Herr Rechtsanwalt Frings bitte in den Gerichtssaal 768. KaJo drückt mir den Arm und verschwindet. Ich ziehe an meiner Zigarette, als müßte ich danach sterben. Ich laufe unruhig hin und her. Was passiert nun? Ich habe Angst. Meine feuchten Hände fuchteln wild durch die Gegend. Ich rede irgendwas zu Thomas. Er sagt nichts. Die Türe geht auf. KaJo. "Wieviel verdienst Du?" Ich sage es ihm und weg ist er wieder. Wieder die Türe. Wieder KaJo. "Sind tausend Mark okay?" Ich nicke und weg ist er wieder. Kurz danach werden wieder alle Beteiligten aufgerufen. Ich sitze wieder vor der Richterin und warte. Der Hauptmann und der Spieß werden nach Hause geschickt. "Wir brauchen sie nicht mehr, vielen Dank" sagt die Richterin zu ihnen. Ich muß fast grinsen. Jetzt mußten sie über eine Stunde draußen warten und jetzt werden sie nicht einmal gebraucht.

"Das Verfahren gegen sie wegen Dienstflucht wird gegen ein Bußgeld in Höhe von Eintausend D-Mark vorläufig eingestellt." Ich drehe mich zu KaJo um und ziehe mit meinen Lippen das Wort ‚vorläufig‘ nach. Er winkt nur kurz mit der Hand ‚alles in Ordnung‘. "Die Kosten des Verfahren trägt die Staatskasse. Ihre Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt."

Ich gehe nach draußen. Alles um mich herum verschwimmt. Wie in Trance stehe ich im Gang des Amtsgerichts. KaJo kommt auf mich zu. "Siehst Du, hat ja doch alles gut geklappt. Ich muß los. Wir sehn uns auf dem nächsten Beratertreffen. Bis dann" und weg ist er. Typisch KaJo muß ich grinsen. Frank kommt mit Riesenschritten auf mich zu. Grinst und drückt mich ohne Vorwarnung gegen seinen Bauch. "Ich bekomme keine Luft mehr" drücke ich heraus und er läßt mich wieder los. Thomas lächelt mich an. Drückt mir die Schulter. Nur für einen Augenblick. Wir gehen in ein Restaurant schräg gegenüber dem Gerichtsgebäude und trinken Milchkaffee. Ich kann es noch gar nicht glauben. Eingestellt. Ich bin frei. Frei!

Drama

"Ich muß jetzt mal allein sein" sage ich und gehe. Ich sitze am Schreibtisch und starre auf meine Postkartenwand. Irgendwie kann ich mich noch nicht richtig freuen. Ich gehe unruhig spazieren und fahre abends zu Thomas. "Komm‘ rein. Wie geht’s dir?" "Naja." Ich setze mich auf den Boden in seinem Zimmer und er kocht mir einen Tee. Zündet Kerzen an. Räucherstäbchen. Ich könnte heulen. Und ich weiß noch nicht einmal warum.

Thomas berührt mich. Zieht mich aus. Wie einen kleinen Jungen, der zu müde ist. Ich rolle mich in sein Bett. Fühle seine Hände auf meiner Haut. Streicheln mich. Sanft. Zärtlich. Dann werden sie fordernd. Erforschen meinen Körper. Meine Hände sind festgebunden. Bewegen sich nicht. Ich kann ihn nicht anfassen. Meine Schenkel liegen auf den seinen. Meine Beine sind gespreizt. "Soll ich eine neue CD einlegen?" "Ja, aber merke Dir die Stellung" antworte ich. "Warum?" "Na, warum wohl." Thomas steht auf und wechselt die CD. Kommt zurück. Aber die Stellung hat er vergessen. Er will mich nicht.

Er beugt sich zu mir runter und bläst mir einen. Es dauert nicht lange und es kommt mir. Er sagt nichts. Ich sage nichts. Er muß sich doch fragen, warum ich ihn nicht anfasse. Irgendwann schlafe ich ein.

Am nächsten Morgen werde ich von seinem Mund geweckt. Es ist völlig dunkel und ich höre nur sein schmatzen. Dann fühle ich es auch. Ich spanne meine Muskeln zur Beschleunigung an. Wenig später sitze ich im Bus und fahre durch die Dunkelheit von Spandau nach Tempelhof. Regen klatscht an die Scheiben. Regentropfen laufen die Scheiben hinab. Wie Tränen.

Eine Woche später rufe ich bei Thomas an. Wir treffen uns im Drama in Kreuzberg. Thomas sitzt mir schweigend gegenüber. "Danke, daß du gekommen bist" fange ich leise an. "Thomas, ich mag dich sehr gerne, aber ich kann dich nicht lieben." Ich fühle mich mies, als ich es sage. Es verletzt. Thomas steht auf und geht. Kein Wort. Nichts.

Christnacht

"Das ist doch nicht dein Ernst?" frage ich Frank und sehe ihn entgeistert an. "Ich war seit Jahren nicht mehr in der Kirche und wüßte auch nicht, was mich jetzt dahin treiben könnte." "Na, Stephan, unser Kampagnen-Pfarrer. Der macht keine 08/15 Gottesdienste. Und danach trinken wir noch was zusammen." Besser als alleine an diesem Abend zu sein.

Frank und ich sitzen in der letzen Reihe. Stephan spricht seine Texte. Und steigt dann auch die Kanzel. "Was macht der denn da oben?" flüstere ich leise zu Frank. "Das ist bei den Evangolen so." Ich grinse. Stephan spricht. "Jesus war auch ein Asylbewerber in Jerusalem." Ich bin schlagartig hellwach. Was hat der gesagt. Eine leichte Unruhe geht durch die Gemeinde. Aber es beruhigt sich wieder.

Nach dem Gottesdienst erzählt uns Stephan, daß die Leute am Heilig Abend nicht aufstehen. "Sonst kann das schon mal vorkommen, daß die Leute gehen." Er grinst. "Aber am 24. haben sie keine Chance." Ich muß lachen über so viel Ironie. Und das soll ein evangelischer Pfarrer sein? Wir sitzen noch bis spät in die Nacht und Frank bringt mich dann mit dem Auto heim.

First Time

"Ja, hier ist der Helmut." Fast lasse ich den Telefon-Hörer aus der Hand fallen. "Ich komme nach Berlin." Ich bin völlig reglos. Funktioniere nur.

Am 19. März 1993 hole ich ihn vom Flughafen ab. Er will eine Woche bleiben. Er erzählt mir von vielen Neuigkeiten aus dem Allgäu. Interessantes und Langweiliges. Er ist gut gelaunt, heitert mich auf. Wir gehen zusammen etwas essen und liegen dann nebeneinander im Bett. Gleich fragt er, wetten? "Tun wa’s noch’n bißchen?" "Nein, ich bin müde vom Arbeiten. Schlaf gut." Habe ich das gesagt? Helmut sagt nichts. Er bleibt reglos liegen und dann holt er sich einen runter. "Willst du wirklich nicht?" "Nein, ich bin müde" murmle ich durch mein Kopfkissen. Ich drehe mich von ihm weg und versuche zu schlafen. Aber es gelingt mir nicht. Er knistert mit Taschentüchern herum. Endlich ist er fertig. Ruhe. Ich schlafe ein.

"Ich möchte gerne in die Sauna gehen" sagt mir Helmut beim Frühstücken. "Ich kenne hier keine" antworte ich wahrheitsgemäß. "Ich schon. Ich habe sie letzten Sommer entdeckt, als Du im Bundeswehrkrankenhaus warst. Ist eine ganz normale Sauna. "Ja, warum nicht" höre ich mich sagen.

Wir kommen durch eine Metalltüre in einen warmen Raum. Ein junger Mann sitzt hinter einem tresenähnlichem Gestell und gibt uns große Handtücher und jedem einen Schlüssel. "Für die Kabinen" klärt mich der junge Mann auf. Kabinen? Wir trotten hinein und ich sehe nur Männer. Vor allem alte mit dicken Bäuchen. Sie sehen auch gleich zu uns herüber. Ich schaue weg und verschwinde in meiner Kabine und schließe ab.

Mit meinem Handtuch um die Hüften komme ich wieder nach draußen. Helmut wartet schon. "Ich will erst mal in die Trockensauna" sage ich und fange an zu suchen. Helmut trottet erst hinter mir her und zeigt mir dann den Weg. Wir gehen hinein und ich genieße die Hitze, die auf meine Haut einschlägt. Nach wenigen Minuten steht Helmut auf. "Das ist mir zu heiß." Ich bleibe noch eine Weile drin, bis mir der Schweiß in Bächen über den Körper rinnt.

Benommen komme ich nach draußen. Helmut wartet schon auf mich. "Ich zeig‘ Dir mal, was hier alles ist." Wir gehen durch ein Labyrinth. Kabinentür an Kabinentür. Einige sind sogar offen. Wir gehen eine Etage tiefer und da sind noch viele unzählige Kabinentüren mehr. Hier ist fast jede Türe offen. Darin liegen irgendwelche Typen, die an ihrem S*****z herum fummeln. Ich gehe schnell weiter. "Hier ist die Dampfsauna." "Da drin?" "Ja" antwortet Helmut und schiebt mich hinein. Ich gehe ganz langsam und sehe fast nichts. Plötzlich taucht aus dem Nichts eine Gestalt vor mir auf und taucht ebenso schnell wieder ins Dunkel ab. Um die Ecke geht es in einen noch dunkleren Raum. Glitsch-Geräusche kommen aus einem noch weiter hinter liegenden Raum hervor. Leises Stöhnen. Ich spüre eine Hand an meinem Hintern und drehe mich schlagartig um. Aber ich sehe niemanden. "Ich will hier raus" flüstere ich zu Helmut, dränge mich an ihm vorbei und bin froh, als ich wieder ans Licht komme.

Helmut kommt nicht nach. Ich warte draußen auf einer Bank. Die Türe öffnet sich und ein fremder Mann kommt mit einem Halbsteifen heraus. Geht zu den Duschen gegenüber, duscht und geht zurück durch die Türe ins Dunkel. Nach einer Ewigkeit kommt Helmut heraus und duscht sich auch. Dann kommt er zu mir. "Da war ich letztes Mal auch schon drin. Ist doch nichts dabei." "Nein, wenn dir das Spaß macht."

Es gibt noch eine weitere Dampfsauna. Dort gibt es sogar Licht. Ätherische Öle dringen in meine Nase. Ich kann tief einatmen. Es ist sehr nebelig hier. Man sieht die andere Seite nur verschwommen. Und trotzdem fühle ich mich hier wohl. Man erkennt die Gesichter.

Ein junger Mann in meinem Alter setzt sich schräg hinter mich eine Stufe höher. Ich sehe aus den Augenwinkeln nach hinten und betrachte seinen Körper. Er ist nur leicht behaart und beginnt mit seinen Händen seinen S*****z zu reiben. Ich werde nervös und möchte raus. Aber irgend etwas hält mich. Er reibt weiter und ich werde langsam rot. Für den bin ich doch viel zu häßlich. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehe mich zu ihm um und er schaut mich stumm an. Er nickt leicht. Und rutscht zu mir auf die Bank. Meine Hände wandern zu seinem Körper. Ich berühre seine Beine. Seine Schenkel. Taste mich vorsichtig an seinen S*****z heran. Mir wird schwarz vor meinen Augen. "Ich muß hier raus, ich bin wohl schon zu lange hier drin." Er schaut mich nur an. "Kommst Du mit nach draußen?" Wir gehen raus. Endlich Luft. Ich atme tief durch. "Die Duftstoffe waren zu viel für mich." Er nimmt mich bei der Hand und wir verschwinden in eine schlecht beleuchtete Ecke. Er umfaßt mich von hinten. Drückt mich an sich. Entspanne Dich Steven. Ich spüre ihn. Am Loch. Seine Hände berühren meine Hüften und ich spüre, wie er langsam in mich eindringt. Ich fühle ihn in mir. Er bewegt sich rein und raus. Langsam und gleichmäßig. Immer wieder. Mein Körper beginnt zu vibrieren. Seine Hände umfassen meinen Oberkörper. Meine Brust. Meinen Bauch. Mein Unterkörper beginnt zu kitzeln... Irgendwann zieht er ihn raus und ich drehe mich zu ihm um. Hole ihm einen runter bis auch er kommt. Danach gehen wir duschen und dann zur Bar. Wir unterhalten uns. Über unsere Arbeit. Über lauter Belanglosigkeiten. "Wollen wir uns wieder treffen?" frage ich ihn. "Ja, warum nicht" antwortet er und wir verabreden uns für draußen vor der Türe. Es regnet und ich warte. Aber er kommt nicht. Ist er schon gegangen. War er schon vor mir draußen. Er ist verschwunden. Ohne ein Wort.

Ich fahre in meine Wohnung und lege mich auf mein Bett. Ich denke an vorhin und bekomme gleich wieder einen Steifen.

Im Fernseher läuft der Watzmann. Manchmal lache ich sogar über das Spektakel. Als Helmut kommt, lege ich eine Videokassette ein. The Rocky Horror Picture Show. Helmut will wissen, warum ich plötzlich verschwunden bin und ich erzähle es ihm. Er nickt nur. Aber er fragt nicht weiter. Er muß sich auf das Lesen konzentrieren. Ich kann den Film schon mitsprechen.

Ich bin hellwach und wir fahren ins SchwuZ. Ich tanze mich ins Delirium und bekomme von der Außenwelt nichts mehr mit. Ich sehe nur noch S******e, die sich überall in meinen Körper bohren.

Am letzten Tag will Helmut noch mal in die Sauna und ich gehe mit. Vielleicht treffe ich ihn ja wieder. Ich durchsuche die vielen Irrwege und finde nur leblose Gestalten in ihren Kabinen. Immer das gleiche Bild. Im Fernsehraum läuft ein Porno nach dem anderen. S******e in Löchern. S******e in Löchern. S******e in Löchern. Ein Typ sitzt mitten im Raum und holt sich einen runter. Ich sehe ihm eine Weile zu.

Ich finde Helmut an der Bar. Wir reden. Über das Heim. Die Schwestern. Über seine Familie. "Lange werde ich heute nicht hier bleiben. War ein anstrengender Tag auf Arbeit." Helmut nickt. Wir gehen durch die Irrwege spazieren. "Willst Du mich f****n?" frage ich Helmut. F****n. Wie besessen suche ich einen Kondomautomaten. Wir verschwinden in seiner Kabine und er zieht sich das Kondom über. Helmut liegt auf dem Rücken und ich setze mich auf ihn. Er dringt in mich ein und ich fühle es nicht. Helmut fummelt umständlich an meinem S*****z herum. "Laß‘, sonst kommt es mir gleich." presse ich heraus. Mein S*****z erschlafft. Keine Regung mehr. Nach einer Weile kann ich nicht mehr. Es strengt mich zu sehr an. Total verschwitzt stehe ich auf. "Ich bin total kaputt." "Ach so, soll ich kommen?" fragt er mich und ich knie mich wortlos vor ihm auf die Liege. Er dringt wieder ein und schiebt seinen S*****z nur rein und raus. Ich starre an die Wand vor mir. Alle meine guten Gefühle sind weg. Einfach weg. Mein Körper wird nach vorn geschlagen. Immer wieder. Ich höre nur leise das Klatschen seiner Haut auf meiner. Nach ein paar Minuten ist es vorbei. Ich lege mich auf den Rücken und Helmut setzt sich neben mich. Er holt mir einen runter. "Blas‘ mir einen" fordere ich ihn auf, aber er will nicht. Ich konzentriere mich auf den schlechten Porno und schaffe es, doch noch zu kommen. Danach gehe ich duschen, ziehe mich an und verschwinde. Draußen muß ich mich fast übergeben. Am nächsten Morgen will mir Helmut fünfhundert Mark geben. "Nein, ich komme mir vor, als würdest Du mich bezahlen." Er steckt es wieder ein und zieht die Wohnungstüre hinter sich ins Schloß. Ich bin wieder alleine.

Coming Out in Raten Teil 1

Mary kommt mit einem Lächeln in die U-Bahn. Wir küssen und umarmen uns kurz. Im Café Vierlinden sitzen wir an einem einsamen Tisch. "Vielleicht hast Du es ja schon bemerkt, daß ich mehr auf Jungs stehe." Sie lächelt mich an. "Nö, habe ich nicht, aber das ist doch auch okay." Ich bin froh, daß Mary es so locker nimmt. Ich wollte es ihr sagen. Allen meinen Freunden.

Am 2. April fahre ich zum Bahnhof Zoo. Stephan erwartet mich auf dem Bahnsteig und ich freue mich darauf, mit ihm nach Hamburg zu fahren. Endlich mal wieder raus aus Berlin. Der Zug rauscht durch die Gegend. Bunte Farbklekse flitzen an dem Fenster vorbei. Ich habe Stephan schon öfter besucht und wir können uns so gut unterhalten. Ich erzähle ihm von Helmut. Aber nur, daß er was mit mir hatte. Stephan schüttelt den Kopf. "Warst Du verliebt in ihn?" "Nein!" schießt es aus mir heraus. Er fragt nicht weiter. Zum Glück.


Wir fahren mit der S-Bahn zu seiner Schwester. Ich bin ziemlich müde und will mich gleich hinlegen. "Ich würde gerne spüren, wie es ist, wenn du auf mir liegst." Ich schaue Stephan an und fange an zu lachen. "Und dann bekommst du keine Luft mehr." "Ich mag dich und will einfach auch wissen, wie du dich anfühlst." "Ich mag dich ja auch, Stephan, aber ich will jetzt nicht, okay?" Er läßt mich in Ruhe schlafen.

Am Ostersonnabend ist Edith dran. Sie sitzt neben mir auf dem Boden und wir reden einfach. "Was ist los mit dir?" Ich druckse herum. "Naja, ich glaube, daß ich mehr auf Männer stehe." "Ach Steven, du bist nicht der erste, der schwul geworden ist" steht auf und geht aufs Klo. "Man wird nicht schwul, man ist es" sage ich zu ihr, als sie wieder kommt. "Ja, klar." Das war’s? Das war’s.

"Mir scheint, du bist verliebt in deine Kaputtheit." Stephan sitzt auf meinem Futon und ich schaue ihn mit großen Augen an. Was? Ich denke nach und verstehe nicht, was er meint. Verliebt in meine Kaputtheit. Ach was. "Ich glaube einfach an Liebe mit absolutem Selbstverständnis." Jetzt sieht mich Stephan fragend an. "Wo einfach alles klar ist, keine Mißverständnisse. Ach, keine Ahnung." Stephan schüttelt den Kopf. "Du bist verrückt." Ich zucke nur mit den Schultern. Vielleicht.

Der Wecker klingelt gemein und ich schrecke hoch. Putze mir die Zähne und komme zurück ins Zimmer. Ziehe mich an. Stephan umfaßt mich von hinten. "Laß‘ dich doch einfach mal küssen" und dreht mich um. Mich ergreift Panik. "Nein, ich will nicht." "Ach komm schon." Er läßt nicht locker. Ich befreie mich unsanft aus seiner Umarmung. "Ich muß los" sage ich hastig und Stephan begleitet mich zur U-Bahn. Wortlos.

Ein paar Tage später treffen wir uns im Tiergarten. "Ich liebe dich nicht" sage ich leise. Stephan schweigt. "Ich kann es nicht ändern. Ich liebe dich nicht" wiederhole ich. "Wenn du das eines Tages anders siehst: ich werde auf dich warten." "Nein." Ich gehe und lasse Stephan alleine zurück.

Bahnhof Zoo

Seit Tagen sitze ich in meiner Wohnung und gehe nicht hinaus. Nur nachts. Dann gehe ich in die Schwulen-Scene und suche einen Freund. Wo ist er? In Tom’s Bar läuft im hintersten Raum ein Porno auf Großbildleinwand. Ich setze mich auf einen Barhocker und schaue zu. Ein paar Typen kommen entlang und schauen zu mir. Drehen sich um. Verschwinden. Eine Treppe hinunter. Der Darkroom. Allein der Gedanke daran hält mich zurück. Ich gehe aufs Klo und neben mir steht ein Typ, der mir auf dem S*****z sieht. "Macht’s Spaß?" frage ich ihn laut und er zieht ab.

Ich finde wohl nie einen Freund. Immer nur alte Typen interessieren sich für mich. Wenn ich in der Bar entlang laufe, drehen sich die alten Herren synchron die Köpfe nach mir um. Toll. Das machen sie bei allen Jüngeren. Mir wird übel und ich bestelle mir noch einen Whisky-Lemon. Rauche endlos Zigaretten und trotte dann frustriert zurück zu meinem Bett.

Am nächsten Wochenende das gleiche. Immer das gleiche. Niemand interessiert sich für mich. Dabei gebe ich mir solche Mühe. Ich brauche inzwischen Stunden, bis ich ausgehfertig bin. Aber ich werde immer nur von alten Säcken angebaggert. Sie torkeln auf mich zu. Lallen mich voll. Immer das gleiche.

Ich gehe vor die Haustüre. Es ist noch sehr warm. Trotzdem ziehe ich mir eine Jacke an. Und meine Baskenmütze. Am Bahnhof Zoo steige ich aus. Es ist noch einiges los hier. Reisende kommen und gehen. Dazwischen stehen ein paar Jungs scheinbar unbeteiligt in der Gegend herum. Ich gehe zur Jebensstraße raus. Die schwüle Luft drückt. Hier stehen mehrere Jungs an dem Zaun gegenüber. Ich beobachte sie. Ein Auto hält vor einem Jungen. Er geht an die Beifahrertüre. Sie unterhalten sich. Er steigt ein. Sie fahren weg. Leicht Kohle verdienen.

"Du bist wohl neu hier, hm?" Ich zucke zusammen. Ein Mann um die dreißig steht vor mir. "Ich sag‘ Dir, wie es hier läuft." Wir gehen ins McDonalds auf der anderen Seite des Bahnhofs. Er sagt mir die Preise. Worauf ich achten soll. "Fahre nie mit einem in seine Wohnung. Mache es nur im Auto. Da kannst Du notfalls immer abhauen." Ich schlürfe an meinem Kaffee. Die Preise. Leicht verdientes Geld. Mir ekelt vor mir selbst. Der Typ steht auf und verschwindet im Gewirr des Bahnhofs. Ich gehe an die Eingangstüren. Schleiche mich durch den Bahnhof zur Jebensstraße. Wieder Autos. Wieder Jungen, die einsteigen und davonfahren. Ein älterer Mann schleicht um mich herum. Schaut mich von oben bis unten an. Lächelt. Kalt. Berechnend. Ich gehe weg. Weg von der Jebensstraße. Weg vom Bahnhof. Laufe durch den Tiergarten. Irgendwann bin ich wieder daheim. Zu Hause wird mir heiß und kalt. Schwindelig. Mein Körper schüttelt sich. Ich übergebe mich. Kotze alles heraus. Ich auf dem Strich? Nein.

Coming Out in Raten Teil 2

Waltenhofen, Juli 1993
Hallo, Du lausiger Berliner!

[...] Und jetzt kommt der große Hammer, unsere Meinung zu Deiner partnerschaftlichen Einstellung. Wir finden es ganz prima, daß Du uns in Dein Geheimnis eingeweiht hast, es ist Dir sicher nicht leicht gefallen, darüber zu schreiben. Ich glaube, daß wir auch keine moralische Berechtigung haben, Deinen Schritt in irgend einer Weise zu mißbilligen, denn es ist ja Dein Leben. Wir beide sind jedenfalls der Ansicht, daß eine Gemeinschaft zwischen Männern nicht nur toleriert wird, sondern ein normaler Bestandteil unserer modernen Gesellschaft ist. Was soll’s also, Mann oder Frau, Freund oder Freundin, wo liegt denn da der Unterschied? Hauptsache ist doch, man mag sich, man versteht sich. Wir mögen Dich so wie Du bist und so soll es auch bleiben. Und sollten wir im Urlaub mal wieder Berliner Luft schnuppern, werden wir ganz bestimmt bei Dir aufkreuzen. Selbstverständlich würden auch wir uns freuen, wenn Du Dich wieder mal sehen lassen würdest.

Bis dahin alles Gute und herzliche Grüße

H. + Th.

PS: Eigentlich ist es vollkommen in Ordnung, daß Du öfter schreiben mußt, denn unsere Briefe sind ja schließlich ellenlang.

Ein Lächeln kommt mir über die Lippen. Ach Gott, die Beiden. Onkel Hubert und Tante Thea. Ich erinnere mich an die wenigen Minuten, die ich immer vor dem Training bei ihnen war. Mein Zittern geht langsam zurück. Ich werde ruhiger. Schaue aus dem Fenster. Habe ich richtig gelesen? Ich lese es noch mal. Hauptsache ist doch, man mag sich. Meine Augen tränen. Ich sehe auf den Brief. Mein Onkel hat ihn von Hand geschrieben und ich habe Mühe, die altdeutsche Schrift zu lesen. Meine Spannung fällt ab und ich fange an zu lachen. Ich fühle mich so unsagbar frei. Ich springe durch mein Zimmer. Endlich haben sie geantwortet. Wochen mühsamen Wartens. Mein Herz schlägt schnell.

Kai

Meine Arme fuchteln durch die Gegend. Lichtblitze treffen meinen Körper. Versetzen mir Stromschläge. Treiben mich an. Weiter. Bässe durchdringen meinen Körper. Lassen meinen Körper beben. Bewegen meine Beine wie von selbst. Meine Augen nehmen die Umgebung nur Schemenhaft wahr. Fremde Menschen um mich herum. Leere Gesichter. Lachende Gesichter. Kreischbunte Lichter blenden meine Augen. Machen mich für einen Augenblick blind. Von der Welt entrückt. Meine Ohren registrieren nur noch ein dumpfes Hämmern. Die Welt verschwindet langsam aus meinem Bewußtsein. Ich scheine zu schweben. Plötzlich Ruhe. Ich bleibe stehen. Öffne meine Augen. Ich bin wieder im SchwuZ. Ein Marianne-Rosenberg-Erschreck-Lied dröhnt durch die Boxen. Massen an übertrieben grinsenden Gesichtern stürmen auf die Tanzfläche. Ich flüchte. Nur das nicht. Aus dem Off beobachte ich die jubelnde Menschenmenge. Kreischend. Pfeifend. Trillernd. Quietschend.

"Bist Du auch aus Bremen?" Ich sehe in ein freundliches Gesicht. Auch aus Bremen? "Nein, wie kommst Du darauf?" "Ich habe gesehen, wie du mit dem gesprochen hast" und zeigt auf einen Typen ein paar Meter von uns entfernt. "Den kenne ich aus Bremen. Ich heiße Kai, wohne jetzt aber in Berlin." Er lächelt mich an und reicht mir die Hand. Ich gebe ihm die Hand und wir unterhalten uns stundenlang.

"Ich muß langsam mal ins Bett" sage ich mit einem Gähnen. "Willst Du nicht mit zu mir kommen?" fragt mich Kai. Der will, daß ich mit zu ihm komme? Ich. Er sieht doch viel besser aus wie ich. Vor allem ist er viel schlanker als ich. Ich will nicht weiter nachdenken. Auf dem Weg zu ihm sprechen wir nicht viel.

Wir steigen die Treppen in einem alten Neuköllner Haus hoch. Er schließt auf. Macht Licht und ich gehe in das Zimmer. Er lächelt mich an. "Hast du noch Hunger?" Ich schüttle nur den Kopf. Kai verschwindet in seiner kleinen Küche und kommt mit einem Toast mit Salami drauf zurück. Er erzählt mir von seinen Eltern. "Sie wissen nicht, daß ich schwul bin. Sie denken, ich studiere schön brav und..." mit einem Schulterzucken bricht er im Satz ab. "Sie würden es nicht begreifen" redet er nach einer Pause weiter. Kai zeigt mir das Bad. Man muß durch die Küche gehen, um ins Bad zu kommen. Ich putze mir kurz die Zähne und komme zurück in sein Wohnzimmer.

Kai hat das Sofa zu einem Bett umgebaut. Er krabbelt in Shorts auf der Matratze herum und zieht das Laken zurecht. Als er mich wahrnimmt steht er auf und umarmt mich. Gibt mir einen Kuß auf den Mund und lächelt. Ich umfasse seine Hüfte und küsse ihn zurück. Kai beginnt mich auszuziehen. Mein Hemd. Mein T-Shirt. Öffnet meine Hose. Zieht sie langsam herunter. Ich komme mir dämlich vor. Er findet mich bestimmt häßlich. Er faßt nach meiner Hand und zieht mich auf sein Bett. Streichelt meinen Körper. Ich beginne ihn zu berühren. Seinen schmalen Schultern. Fahre mit meinen Händen über seine Brust. Die Rippen sind deutlich zu spüren. Seine schlanke Taille. Kai zieht mir die Unterhose aus und umfaßt meinen S*****z ohne Vorankündigung. Küßt mich. Umkrallt mit der anderen Hand meine A****b****n. Ich schiebe meine Hand langsam in seine Shorts und fühle einen dicken harten S*****z. Befreie ihn von seiner engen Umgebung und sinke mit meinem Kopf zu ihm hinab. Er riecht gut. Und langsam umschließe ich ihn mit meinem Mund. Sauge daran. Immer gieriger. Fester. Kai zieht meinen Kopf zu sich hoch und küßt mich. Unsere Zungen spielen miteinander und unsere Hände erforschen unsere Körper. Seine Hände fahren über meine A****b****n zwischen meine Beine. Wie durch einen Reflex öffne ich meine Beine für ihn und ich spüre seine Finger an meinem Loch. Ein Finger bohrt sich langsam und vorsichtig hinein. Zieht ihn wieder heraus. Plötzlich sind seine Hände verschwunden. Ich öffne die Augen und sehe Kai, wie er in einem Regal etwas sucht. Er kommt mit einer kleinen Flasche zurück. Öffnet sie und reibt mein Loch mit der glibberigen Flüssigkeit ein. Seine Finger rutschen fast schon von selbst in mich hinein. Ich sehe, wie Kai sich ein Kondom überzieht. Er drückt meine Beine nach oben und setzt vorsichtig seine Spitze an mein Loch. Langsam schiebt er seinen S*****z in mich hinein. Ich atme ruhig. Entkrampfe mich. Es dauert nicht lange und er ist in mir. Meine Beine umfassen seinen Körper. Mit wippenden Bewegungen drückt er sich in mich. Immer tiefer. Ich werde wahnsinnig. Mein Körper paßt sich seinem Rhythmus an. Wir verschmelzen. Meine Hände umgreifen seine A****b****n. Kneten sie. Ich sehe, wie sich sein Körper bäumt. Seine Bauchmuskeln sich anspannen und entspannen. Wir küssen uns. Unsere Zungen bohren sich in unsere Münder. Er wird immer schneller. Mein Körper fängt an zu schwitzen. Meine nasse Haut reibt sich an seiner. Kai fangt an zu vibrieren. Ich spüre, wie mein S*****z anschwillt und zu pochen beginnt. Das Kitzeln wird immer stärker. Ich drücke Kais Körper an mich und dann spritzt es aus mir heraus und nach einer ganzen Weile kommt dann auch er. Kai sinkt auf mir zusammen und ich umschlinge ihn mit meinen Armen und Beinen. Ich spüre meinen Puls an den Schläfen. Sein Herz schlägt schnell. Seine heiße und nasse Haut klebt an meiner. Wir küssen uns und kuscheln uns aneinander und schlafen ein.

Grelles Licht weckt mich. Die Sonne scheint und das Zimmer ist hell. Weiße Wände und weißes Bett reflektieren die Sonnenstrahlen und blenden meine Augen. Langsam gewöhnen sie sich an den neuen Tag. Ich sehe Kai. Er schläft und ich betrachte sein Gesicht. Ich lege mich auf die Seite und sehe ihn einfach nur an. Er ist so schön. Er blinzelt mich kurz an und schläft gleich wieder ein. Meine Augen erfassen sein Gesicht. Wenn er sich im Schlaf umdreht, registrieren meine Augen jede Bewegung. Er rollt sich auf die Seite und ich sehe seinen schmalen Rücken und seine runden A****b****n. Ich traue mich nicht, ihn anzufassen. Ich will ihn nicht wecken. Er dreht sich zu mir zurück und öffnet kurz seine Augen. Lächelt und schlummert wieder ein. Nun sehe ich wieder sein Gesicht. Die Zeit vergeht und zieht an mir vorbei. Ich nehme sie nicht wahr. Irgendwann ist Kai wach. Streckt seine Hände zu mir aus und umarmt mich. Küßt mich. "Du hast ja kaum geschlafen" murmelt er. "Ich habe Dich einfach angesehen" sage ich leise und lächle ein wenig verlegen.

"Kaffee oder Tee?" Kai werkelt in seiner Mini-Küche und ich sehe ihm dabei zu, wie er umständlich Kaffee in die Kaffeemaschine gibt. Die Küche ist so klein, daß man nur allein darin sein kann. Als ich ins Bad möchte, muß Kai die Küche räumen. Ich drücke mich an Kai vorbei und er drückt mir einen Kuß auf den Mund. Er lächelt und ich möchte heulen. Kai zeigt mir die Dusche. Ich stelle mich darunter und lasse das heiße Wasser auf meine Haut brausen. Mit nassen Haaren komme ich in das Zimmer zurück. Die letzen Tropfen klatschen auf meine Haut. Kai hat das Bett wieder in ein Sofa zurück verwandelt und den Tisch gedeckt. Ich schlürfe an dem Kaffee und schaue immer wieder Kai an. Wenn er es bemerkt, werde ich leicht rot. Als ich meine Tasse endlich wieder einmal abstelle umarmt mich Kai und küßt mich. Und fängt an, mich mit seinen Berührungen zu verzaubern. Er zieht mich auf den Boden und küßt meinen Körper überall. Mein Mund beginnt seine Haut aufzusaugen. Zu schmecken. Ich arbeite mich zu seinem S*****z vor und nehme ihn gierig in den Mund. Ich lecke ihn, sauge daran und werde immer süchtiger nach ihm. Ich knie über Kai und er bläst mir einen. Mein Körper zuckt und Kai grinst mich frech an. Ich reibe an ihm weiter und plötzlich ist auch bei ihm alles naß. Meine Hände durchwühlen seine S****h***e. Sein S*ft ist heiß und ich will ihn auflecken, aber Kai hält mich zurück.

Die Sonne brennt durch das dreckige Busfenster. Mir wird warm und ich ziehe meine Jacke aus. Meine Augen fliegen über die Straße. Menschen gehen spazieren. Kinder fahren mit ihren Fahrrädern über den Gehweg. Ich fühle eine Wärme in mir. Ich fange an zu lachen. Die Leute im Bus interessieren mich nicht. Ich steige in die U-Bahn und fahre zurück nach Moabit. Als ich die Wohnungstüre öffne, erscheint mir mein Zimmer heller und freundlicher als zuvor. Ich springe durch die Luft und drehe meine Anlage auf. Bis der Nachbar von schräg gegenüber kommt. Mit zittrigen Händen drücke ich den weißen Zettel an meine Pinwand über meinen Schreibtisch. Darauf steht die Telefon-Nummer und die Adresse von Kai. Er hat sie mir einfach gegeben.

Am letzten Dienstag im Juli fahre ich wie gewohnt in die Kampagne. Ich bin spät dran heute. Überstunden wegen einem verspäteten LKW aus Schweden. Egal. Mit einem breiten Grinsen betrete ich das Kampagnenbüro. Frank sieht mich und lächelt mir zu. Nach seiner Beratung kommt er zu mir. "Was ist los?" lächelt er mich an und drückt mich kurz. "Ich glaube, ich bin verliebt" sage ich vorsichtig. "Das sieht man" lacht Frank und will alles wissen. Ich erzähle ihm von Kai. Von seinem Lächeln. "Was soll ich machen?" "Ruf‘ ihn an!" sagt Frank, als ob es das normalste der Welt wäre. "Meinst Du wirklich?" "Ja, ruf‘ ihn an!" Er lächelt mir aufmunternd zu. Sein Lächeln überzeugt mich.

Am nächsten Tag wähle ich mit Herzklopfen die Nummer von Kai. Es klingelt. Klingelt. Meine Hände sind feucht. Ich schwitze. Ein kurzes Piepsen. Dann die Ansage auf seinem Anrufbeantworter. Ein langer Piepton. Ich rede mit zittriger Stimme. Langsam lege ich den Hörer auf das Telefon zurück. Wird er zurückrufen?

Als ich abends zurückkomme, blinkt mein Anrufbeantworter. Ich stürme auf ihn zu und höre ihn ab. Er hat zurückgerufen. Mein Herz klopft. Es geht mir gut.

Wir treffen uns am Freitag abend im Drama. Ich komme in die Bar und mir fällt Thomas ein. Vor einem halben Jahr war hier das große Drama. Was für ein blöder Wortwitz. Trotzdem lächle ich. Ich sehe Kai und gehe auf ihn zu. Er küßt mich kurz und stellt mir einen Freund vor. Schade, ich wäre lieber mit ihm alleine gewesen. Nach ein paar Bier fahren wir zu ihm nach Hause. Ich tauche wieder ein in das Glücksgefühl des letzen Wochenendes und lebe richtig auf.

Der Streß auf Arbeit macht mir nichts mehr aus. Die KDV-Beratung in der Kampagne und im Mann-O-Meter erledige ich mit einem Lächeln. Selbst die miese Laune von Thomas, sein ignorierendes Verhalten mir gegenüber, das alles geht an mir vorüber, als ob es mich überhaupt nicht beträfe.

Coming Out in Raten Teil 3

Kempten, August 1993
Lieber Stefan,

vielen Dank für Deinen langen und ehrlichen Brief. Schickst Du mir bald ein Foto von Dir? [...] Du hast es ja spannend gemacht mit Deiner Offenheit. Aber entsetzt, wie Du vielleicht denkst, bin ich nicht. Das S*****l***n ist Sache jedes Einzelnen und es steht keinem zu, darüber zu urteilen. Jeder muß sein Leben so leben, wie er es für richtig findet. Ich finde es jedenfalls gut, daß Du mit der Wahrheit rausgerückt bist. Es läßt sich so für Dich sicher besser leben. Was macht es schon aus, wen man liebt. Hauptsache, man liebt überhaupt. Für mich und uns bleibst Du trotzdem der liebe Stefan, den wir gerne sehen und uns freuen, wenn wir Dich treffen. Daß Dein Vater so toll reagiert hat, finde ich super und freut mich besonders für Dich. Nach Deinen Briefen stelle ich fest, daß Du Dir Deinen Humor bewahrt hast und das finde ich gut. Ich glaube, Du bist ein großer Kindskopf, der aber sein Leben meistert. Darüber bin ich froh, da ich ja Deine Taufpatin bin und mir Dein Wohlergehen schon sehr am Herzen liegt. Ich will damit sagen, die Hauptsache ist, daß es Dir gut geht. Alles andere ist egal.

Das wär’s mal wieder für heute. Ich hoffe, auch bald wieder etwas von Dir zu hören. Und denke an das Bild.

Es grüßt Dich recht herzlich

Angelika mit Anhang.


Mir ist wohlig warm ums Herz. Nun wissen es alle. Alle, die es wissen sollen. Keine Geheimnisse mehr. Kein Verstecken mehr. Ich denke an die Zeit früher. Wie oft bin ich bei ihr gesessen und habe Caro-Kaffee getrunken. Haben uns unterhalten. Sie mochte mich immer irgendwie. Und jetzt spüre ich es deutlich. Ich bin froh, daß mich niemand von ihnen verstößt.

Meine linke Seite schmerzt. Kai hat mich überredet, einen Leberfleck an der Achsel heraus schneiden zu lassen. Jede Bewegung schmerzt. Eigentlich nervt es mehr. Am Bahnhof Zoo steige ich aus und gehe zum Zoo-Palast. Als ich Kai sehe stürme ich auf ihn zu und will ihn umarmen. Aber Kai weicht mir aus. Ich trete einen Schritt zurück. "Ich will das nicht in der Öffentlichkeit" sagt mir Kai zur Erklärung. Trotzdem tut es weh. Mag er mich nicht?

Wir sehen den Film ‚Tina‘ und ich wundere mich, daß Tina Turner so wahnsinnig toll lachen kann, obwohl sie so schreckliches erlebt hat. Nach dem Kino spazieren wir an der Gedächtniskirche vorbei in Richtung Wittenbergplatz. Wir reden nicht viel. "Was ist los?" frage ich ihn und er kann mir keine Antwort geben. "Soll ich lieber gehen?" frage ich ihn und er antwortet mir immer noch nicht. Tränen kommen mir in die Augen. Ich habe Angst, daß er mich gehen läßt. Einfach so. "Ich gehe dann mal, Du kannst mich ja anrufen" sage ich und will zur U-Bahn. "Nein." Kai sieht mich an. Wir fahren schweigend zu ihm nach Hause und legen uns nebeneinander ins Bett. Kein Wort. Keine Berührung. Keine Zärtlichkeit. Ich sehe nur seinen Rücken und dieses mal sieht er kalt und abweisend aus.

"Ich habe Angst, daß ich verprügelt werde. Einem Freund ist das schon mal passiert. Deshalb will ich in der Öffentlichkeit nicht zeigen, daß ich schwul bin." Ich nicke nur. "Was ist mit Deinen Eltern?" "Die würden mir das Geld streichen, wenn die es wüßten." "Aber lebst du nicht sehr versteckt?" Kai nickt. Jetzt ist er wieder freundlich. Als ich los will, umfaßt Kai meine Taille und wir schlafen zusammen. Aber es fühlt sich nicht mehr so schön an. Als ich meine Hände zwischen seine A****b****n gleiten lasse, zieht er sich zurück. Was hat er? Er liegt auf mir und keucht und stöhnt. Meine Hände krallen sich in die Matratze. Ich liege reglos unter ihm und warte. Bis er fertig ist. Dann steigt er von mir ab und dreht mich auf den Rücken. Spukt in seine Hand und reibt mich. Bis es mir kommt.

Die Kabelstränge rasen an mir vorbei. Zeichnen zittrige Linien in den Tunnel. Die U-Bahn rauscht in den Bahnhof ein. Hält kurz. Fährt weiter. Taucht ab ins Dunkel. Wechselspiel. Wie meine Gefühle. Mag ich Kai, mag ich ihn nicht. Ich sehe aus dem Fenster und meine Augen krallen sich an den Linien fest.

Ein paar Tage später bin ich wieder zu ihm gefahren. "Irgendwie bist Du manchmal komisch." "Warum?" "Deine Einstellung zu Safer-S** finde ich bescheuert. Du kannst doch nicht einfach das alles ignorieren." Kai redet pausenlos auf mich ein. Was will er eigentlich? Je mehr Fragen er stellt, desto weniger antworte ich. Ich stehe an der Zimmertüre und fange an zu weinen. Sinke auf den Boden. Jetzt erst hört Kai auf zu löchern. Er streichelt mich. "Ich verstehe Dich nicht" sagt er leise. "Es kann Dir doch nicht egal sein, ob Du Aids bekommst oder nicht." Ich ziehe müde meine Schultern hoch und lege mich ins Bett. Rolle mich ein. Kai umarmt mich. Aber nur kurz. Dann schlafe ich ein. Alleine.

Reise in die Vergangenheit

Langsam rollt der Zug in den Hauptbahnhof ein. "Kempten Allgäu Hauptbahnhof. Kempten Allgäu Hauptbahnhof..." Es ist das zweite Mal in meinem Leben, daß ich mit dem Zug hier ankomme. Damals kam ich aus der anderen Richtung. Mit sieben. Barbara winkt mir, als sie mich hinter dem Abteilfenster sieht. Ich steige aus und wir umarmen uns kurz. "Hallo Joachim!" Er ist groß geworden. Ich habe ihn Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

Wir fahren gleich zu Sieglinde und dann sind wir erst einmal damit beschäftigt, über das Heim abzulästern. Das dauert. Nach so langer Zeit haben wir eine Menge nachzuholen.

Ich gehe durch die Fußgängerzone in Kempten. Alles wirkt klein und unwirklich. Gehe am Horten vorbei Richtung Friedhof. Das Grab meiner Mutter hat keinen Grabstein mehr. Aber der Rest scheint noch da zu sein. Die beiden Bäumchen sind größer geworden. Verwelkte Blumen. Gestrüpp verdeckt die Oberfläche. Hinter dem Grab liegt noch eine alte Steckvase aus häßlichem Grün. Es ist kalt an diesem Oktobermorgen. Die Sonne scheint schräg auf den Friedhof. Niemand sonst ist hier. Stille. Absolute Stille. Ich sehe die Inschrift des Grabsteins. Martha Strauch. geb. 23.9.1931. gest. 3.1.1977. Und plötzlich sehe ich wieder diesen braunen Matsch unter meinen Schuhen. Die Schwester schaut zu mir herüber. Ich halte ein Sterbebildchen in der Hand. Tränen laufen über meine Wangen. Ich schrecke hoch. Die Tränen sind noch da. Ich sehe auf das Grab und drehe mich um. Es ist das einzig ungepflegte Grab hier.

Ich gehe zurück zum Haupteingang und betrete die Leichenhalle. Wie früher immer. Ich lese die Namen an den einzelnen Glastüren. Niemand ist offen dargestellt. Alle Särge sind fest verschlossen. Früher war das anders. Die Luft ist aber geblieben. Mich treibt es nach draußen. Die Sonne empfängt mich bei den Lebenden. Ein Bus brummt vorbei. Linie 10. Die Linie zu meinem früheren Zuhause. Ich renne zur Bushaltestelle. Der Busfahrer sieht mich und wartet. Ich steige ein und fahre mit. Es sind nur zwei Stationen. Ich habe es viel länger in Erinnerung. Die Stadt ist klein geworden. Ich steige aus und biege um die Ecke, um die ich früher mit meinem Go-Cart gebrettert bin. Mit sechs, sieben Jahren. Das alte Haus auf der rechten Seite wurde abgerissen. Aber das Haus, in dem wir zuletzt lebten, steht noch. Langsam gehe ich darauf zu. Ich dachte, es war ein Hochhaus. Die Klingelschilder zeigen andere Namen. Hier wohnt niemand mehr, der Strauch heißt. Ich lese die anderen Namen und versuche mich zu erinnern. Aber es fällt mir nichts mehr ein. Kein Name kommt mir bekannt vor. Oder doch? Ich bin mir nicht sicher. Ich grüble. Keine Erinnerung.

Die Michaelskirche. Memminger Straße. Adenauerring. Alles sieht noch genau so aus wie früher. Ich erkenne das Heim. Rot und grau. Schaut mich an. Als ich vor dem Betonklotz stehe, kommt er mir lächerlich klein vor. 10 Jahre hast Du mich gefangen. Du Winzling. Die Beton-Giraffen stehen noch immer vor dem Eingang. Häßlich sehen sie aus. Früher bin ich ab und zu hinauf geklettert. Ich sehe an dem Haus hoch. Die Fenstervorsprünge, auf denen ich langgelaufen bin. Mit Manfred. Ich lächle ein wenig. Das Gesicht von Karin kommt mir in Erinnerung. Ich stehe hinter der Beton-Mauer. Geschützt. So sieht mich niemand. Eine schwarze Gestalt öffnet die große braune Türe. Ich ducke mich und verschwinde über die Wiese.

Ich gehe die Straße entlang zur Rückseite des Heimgeländes. Der Hof, der Fußballplatz, alles kleiner als früher. Ich stehe am Gartenzaun und steige darüber. Es war der einzig uneinsehbare Zugang zum Heim. Hier konnten die Schwestern nicht hinsehen. Nach ein paar Metern bleibe ich stehen. Eine unsichtbare Wand läßt mich nicht weiter gehen. Ich will es auch nicht. Also kehre ich um und steige zurück. Eine alte Frau kommt vorüber, schüttelt den Kopf und murmelt etwas unverständliches. Ich verstehe den Dialekt nicht mehr. Ich gehöre nicht mehr hier her. Ich gehörte niemals hier her.

Filou

Martina hat mir von Kemptens einziger Schwulen- und Lesben-Kneipe erzählt. Ich bin gespannt, was mich da erwartet. Von außen sieht sie aus, wie jede andere Kneipe auch. Ich komme in einen kleinen Gastraum und sehe nur wenige Menschen hier. Eine freundliche Frau steht hinter dem Tresen und fragt mich, was ich trinken möchte. Ich bestelle ein Pils und setze mich in die hinterste Ecke. "Du bist nicht von hier, nicht wahr?" "Nein, ich bin von Berlin. Ich besuche meine Verwandten." Ich sehe eine Gruppe junger Leute an einem Tisch sitzen. Ich blättere in den Zeitschriften. Die meisten kenne ich von Berlin. Ich blase eine Wolke in den Scheinwerferstrahl und beobachte, wie sie sich langsam auflöst. "Setzt dich doch zu uns, du mußt hier doch nicht alleine sitzen." Ich verschlucke mich fast. "Aber ich kenne die doch gar nicht." "Wenn du hier sitzen bleibst, wird sich daran auch nichts ändern" lächelt sie mich an. "Los, komm rüber!" Ich stehe auf und setze mich an den Tisch. Sie begrüßen mich kurz und reden dann weiter. Als ob ich schon immer dazu gehöre. Neben mir sitzt ein hübscher Junge. Mit weißem Rollkragenpullover und mahagonifarbenen Haar. Die Haarfarbe meiner Mutter. Er sieht richtig süß aus. "Woher kommst du?" Er hat mich angesprochen. Ich werde rot und erzähle ihm von Berlin. Und daß ich hier aufgewachsen bin. Er lächelt liebevoll und ich werde nervös. "Ich arbeite hier bei Horten." Als die Kneipe schließt verabreden wir uns noch für Freitag. Wieder hier! Auf der Fahrt zu Barbara geht mir dieser Junge nicht mehr aus dem Kopf.

Es ist 12 Uhr, als ich aufwache. Barbara ist beim Arbeiten. Joachim in der Schule. Ich gehe in die Küche und finde einen liebevoll gedeckten Tisch vor. Ich trinke einen Kaffee und laufe dann los. Ein Bus kommt vorbei, aber ich gehe lieber. Ich habe Bilder von Kai im Kopf. Kai aus Kempten. Kai aus Berlin. Ich bin bestens gelaunt und hüpfe den langen Berg zur Stadt hinunter. Die Fußgängerzone ist schnell durchquert. Alles langweilig. Ich gehe zu meiner Tante Else. "Überraschung!" rufe ich einfach in die Gegensprechanlage. Die Haustüre summt. Die Wohnungstüre ist angelehnt. Ich öffne sie und sehe meine Tante in der Küche. Sie stößt einen Freudenschrei aus, als sie mich sieht. "Ja, wo kommst denn du her?" Sie kommt auf mich zu und streckt mir ihre Hand entgegen. Aber ich umarme sie einfach. "Aus Berlin" antworte ich frech. Es macht Spaß, mit Else zu plaudern. Ich gehe ins Wohnzimmer und treffe dort auf zwei fremde Menschen. "Das sind frühere Bekannte aus Fulnek. Du weißt, wo das ist?" Ja, ich kenne Fulnek. Das Foto meiner Mutter mit Else und Thea. Fronleichnam 1936. "Sie sind extra wegen meinem Geburtstag gekommen" lächelt mich Else an. "Wann hast du denn?" "Na heute, du kommst genau richtig." "Das ist mir jetzt aber peinlich." "Ach was." Ich beobachte meine Tante, wie sie mit den beiden redet. Ich verstehe kein Wort. Sie reden tschechisch.

In der Dämmerung gehe ich zu meinem Vater. Der wird Augen machen. Ich klingle. Das Fenster geht auf. Lore blickt heraus. "Der Stefan" höre ich sie sagen. Mein Vater brummelt irgendwas und schon erscheint sein Kopf aus dem Fenster. Er grinst mich an und zieht eine Grimasse. Ich muß lachen und gehe hinein.

Wir reden über viel. Über seine Arbeit. Über seine Urlaube. Über sein Auto. Über die Verwandten von Lore. "Habt ihr Inge von mir erzählt?" Die beiden verstummen. Lore bricht das Schweigen. "Nein, selbstverständlich nicht. Das bleibt unter uns." Mein Hals schnürt sich zu. Sie schämen sich für mich.

Lore sitzt mir im Oberpaur-Café gegenüber. Sie druckst herum. "Du weißt, daß ich meine Gefühle nicht so ausdrücken kann" fängt sie an. Ich nicke. "Es war nicht leicht früher. Ich hatte Angst, daß ich überfordert sein könnte. Deshalb konnte ich dich nicht zu uns nehmen." Ich nicke. Ich will das gar nicht hören. Es ist doch okay jetzt. Es geht mir doch gut. Das ist doch Vergangenheit. "Es ist okay" höre ich mich sagen. Wir trinken unseren Kaffee. Lore überrascht mich. Plötzlich zeigt sie Gefühle. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wir schweigen die meiste Zeit und gehen dann wieder auseinander.

Abends treffe ich Peter und Elke im Café Zartbitter. Wir lachen und reden. Und als ich auf die Uhr schaue, ist es schon kurz nach 12. Ich gähne übertrieben und wir verabschieden uns. Ich eile ins Filou und frage die Frau hinter dem Tresen, ob sie Kai gesehen hätte. "Er hat von neun bis zehn hier gewartet." Frustriert fahre ich durch die leere Stadt. Vielleicht sehe ich ihn ja irgendwo. Um halb vier fahre ich dann zu Barbara und falle todmüde ins Bett.

Am diesem Sonnabend haben die Geschäfte bis 16 Uhr geöffnet. Ich gehe durch den Horten und suche nach Kai. Jede Abteilung durchforste ich mit akribischer Genauigkeit. Bedienungen ignoriere ich, auch wenn sie mich freundlich fragen, ob sie helfen können. Ich bin ganz oben angekommen. Die Teppichabteilung ist völlig leer. Die Elektonik-Abteilung noch. Nichts. Kein Kai. "Hey, ich dachte schon, du hast mich vergessen." Kai strahlt mich mit seinen dunklen Augen an." "Es tut mir leid, ich war zu spät dran." "Schon gut, ich habe heute um vier Feierabend, du kannst mich ja am Personaleingang abholen." "Diesmal werde ich pünktlich sein."

Um mich abzulenken fahre ich zu Onkel Hubert. Er freut sich und zeigt mir, was er alles in den letzen Jahren am Haus fertig gestellt hat. Um zehn vor vier verabschiede ich mich wieder. Ich muß zu Kai. Hubert ist etwas nervös. "Wo bleibt denn Thea, sonst ist sie um diese Zeit immer hier." "Sie wird bald kommen, vermutlich ist sie noch einkaufen" sage ich und steige in Barbaras Auto.

Um kurz nach vier stehe ich vor dem Personaleingang von Horten. Viele Menschen kommen heraus. Dann endlich. Kai. Er kommt zu mir. Meine Güte sieht der gut aus. Ich werde verlegen und wir gehen erst einmal durch die Stadt. Die Fußgängerzone ist wie leergefegt. Im Zentralhaus trinken wir einen Milchkaffee. Ich schaue ihm in die Augen und er mir. Und manchmal berühren wir uns. An den Armen. Wie zufällig. "Wo könnten wir denn jetzt hin?" fragt mich Kai. Es regnet aus Eimern. An der Stadtgrenze stelle ich den Motor auf einem alten Parkplatz ab. "Ich weiß nicht, kennst du niemanden hier?" Wir fahren zu Peter, aber er ist nicht zu Hause. Kai lotst mich zu einem Bekannten. Der ist zu Hause. Sie unterhalten sich ein wenig. "Mußt du nicht noch etwas erledigen?" fragt Kai seinen Bekannten und grinst. Der versteht auch sofort und überläßt uns seine Wohnung. "In einer Stunde komme ich zurück!"

Kai sitzt neben mir. Unsere Schenkel berühren sich. Wir sehen uns an. Tief in die Augen. Ich lege meine Hand auf seine Schulter. Um seinen Hals. Dann küssen wir uns. Tief und innig. Ich fühle mich leicht und unbeschwert. Langsam ziehen wir uns gegenseitig aus. Ich bin erschlagen von so viel Schönheit. Ich streichle über seine jungenhafte Brust. Seinen Bauch. Streichle seine wenig behaarten Beine. Wir befreien unsere steifen S******e aus ihrer Gefangenschaft. Ich spüre ein Verlangen und dann verwöhnen wir uns nach allen Regeln der Blaskunst. Ich liege vor ihm auf dem Rücken und er küßt meine Beine entlang. Es kitzelt ein bißchen. Aber es ist angenehm. Dann steckt er meinen großen Zeh in den Mund, leckt meine Fußsohlen und das Kribbeln überträgt sich auf den ganzen Körper. Ich bin wie elektrisiert und tue es ihm gleich. Ich küsse und schlecke ihn überall ab. Dann nimmt Kai meine Hand und zieht mich ins Badezimmer. Ich knie mich vor ihm auf den Boden und sauge seinen Steifen tief in mich ein. Plötzlich zieht Kai meinen Kopf zurück. "Noch nicht." haucht er. "Mit Dir." Wir küssen uns und reiben unsere Körper aneinander. Ich komme und kippe beinahe um vor Lust. Gleich darauf kommt Kai. Er schwankt und ich halte ihn fest. Er lächelt mich an und wir küssen uns lange. Mit dem Finger nehme ich etwas von seinem Liebessaft an seiner Schulter auf und schlecke ihn ab.

Ich sitze im Nachtzug nach Berlin. Das Licht ist schummrig. Die alten braunen Lederbezüge sind überall ausgefranst. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Kai. Mein Herz schmerzt. Ich will zurück zu ihm. Der Zug rauscht durch die Nacht und als es langsam dämmert, trocknen die Tränen auf meiner Haut.

Ich träume von Kai aus Kempten. Wenn ich seinen Namen im Traum spreche, dann kann Kai aus Berlin noch nicht einmal Verdacht schöpfen. Bei dem Gedanken muß ich grinsen. Ich fahre zu ihm. Wir unterhalten uns nicht. Wir motzen uns nur an. Wir streiten. Werden laut. Er hebt seine Hand und stößt mich auf das Sofa. Ich stehe wieder auf und atme schnell. Mein Herzschlag rast. Ich zittere. Meine Körper steht unter Strom. Ich drehe mich um und gehe ins Bad. Rauche eine Zigarette. Langsam werde ich ruhiger und lege mich hin. Am nächsten Morgen stehe ich auf und Kai kommt zur Wohnungstür, als ich sie schon fast zugezogen habe. "Hast du nichts zu gestern zu sagen?" Ich gehe einfach. Es war eine schöne Zeit, Kai. Aber sie ist vorbei. Ich stolpere die Treppen hinunter und sehe nicht einmal mehr zu seinem Fenster hinauf. Ich bin fort.

Zwei Anrufe

Hundemüde und völlig ausgelaugt komme ich um halb sieben am Sonntag Morgen zurück. Es ist ein kalter und grauer Tag Ende November. Vor wenigen Tagen habe ich meinen Job bei Schenker gekündigt. Ich habe einfach die Schnauze voll, dort zu arbeiten wie ein wahnsinniger. Jetzt, wo drei Kollegen aus dem Import verschwunden sind, mache ich ihre Arbeit mit. Ich zerbreche langsam.

Mein Anrufbeantworter zeigt zwei Anrufe an. Ich bin eigentlich zu müde, um sie abzuhören. Aber meine Neugierde siegt. "Hallo, hier ist der Björn..." Tränen schießen in meine Augen. Björn. Seit fast einem Jahr habe ich nichts mehr von ihm gehört. Habe ich ihm Briefe geschrieben, die unbeantwortet blieben. Und jetzt sagt er, ich solle einfach vorbei kommen? Meine Müdigkeit ist verschwunden. Ich quäle mich bis neun zu warten und fahre dann zu ihm hin. Meine Finger zittern, als ich auf den Klingelknopf drücke. Niemand öffnet. Vermutlich schläft er noch. Ich fahre zurück in meine Wohnung und warte. Gehe unruhig auf und ab. Zwei Stunden später halte ich es nicht mehr aus und ich fahre wieder zu ihm hin. Diesmal bewegt sich etwas. Ein Vorhang wird beiseite geschoben. Die Türe summt. Ich trete ein und steige die Treppen hinauf. Björn. Er steht da. Verschlafen mit T-Shirt und Shorts. Bekommt seine Augen kaum auf. Ich gehe auf ihn zu. "Björn" kann ich nur sagen und dann umarmen wir uns. Lange.

"Du hast mir damals schon gesagt, ich solle mich von ihm trennen. Er hat mich gefangen gehalten." Ich höre Björn zu. Er erzählt mir von seiner Geschichte. Von seinem Ex-Freund. "Dieses Mal darfst du mich nicht wieder so lange warten lassen" sage ich mit tränenerstickter Stimme. Ich sehe in seine Augen und sehe nur Traurigkeit. Tränen in seinen Augen. Ich umarme ihn. Er geht ins Bundeswehrkrankenhaus und ich drehe mich noch einmal um. Gerade sehe ich ihn noch um die Ecke verschwinden. Dann fange ich an zu weinen und erkenne nichts mehr. Björn.

Lesbos

Es ist kurz nach fünf. Edith steht ein paar Meter von mir entfernt und sieht den Flugplan durch. Ich gähne noch pausenlos und bekomme meine Augen nicht richtig auf.

Um 6.05 Uhr soll es losgehen. Wir warten. Um kurz vor sechs öffnet der Schalter. Die Passagiere zeigen ihre Tickets und gehen an dem Schalter vorbei. Nach 10 Minuten ist der Spuk vorbei. Alle sitzen in der Maschine. Als die Maschine startet drückt es mich in meinen Sessel. Ich sehe verschlafen Berlin unter mir verschwinden und schließe meine Augen.

Mit dem Bus werden wir nach Anaxos gefahren. Die Pension ist eigentlich eine Baustelle, aber das stört uns wenig. Es gibt keinen Strom und kein Wasser. Die Besitzer erklären uns, daß tagsüber oft der Strom abgeschaltet ist und Wasser gibt es nur morgens und abends. Wir gehen in unser Zimmer und packen unsere Sachen aus. Wir sind zu müde, um noch loszuziehen. Und so bleiben wir auf dem Balkon sitzen und unterhalten uns.

Es ist angenehm warm und ein lauer Wind haucht dem Tag neues Leben ein. Wir stehen auf und die griechische Frau bringt uns das Frühstück. Als wir den Fensterladen öffnen drückt die Hitze herein. Es ist gerade mal acht Uhr. Wir sitzen auf dem kleinen Balkon und frühstücken. Aber nach wenigen Minuten halten wir die Hitze nicht mehr aus und gehen zurück ins kühle Zimmer.

Wir gehen zum Strand. Ich habe meine Badehose angezogen und stürme in die Fluten. Ich tobe mich durch das Wasser. Es ist angenehm kühl. Die Hitze fällt ab und ich bekomme wieder einen klaren Kopf. Edith kommt mir hinterher. Wir lachen. Bespritzen uns. Am Strand unterhalten wir uns.

Wir sind ins Zimmer nach hinten raus umgezogen. Dort ist es ruhiger. Vor allem nachts. Wenn die jungen Kerle mit den Motorrädern herumfahren und kein Ende finden.

"Ich brauche Luft, sonst kann ich nicht schlafen." "Dann kommen noch mehr Mücken herein und ich kann überhaupt nicht mehr schlafen" antworte ich ihr und drücke die Balkontüre zu. Edith steht auf und öffnet sie wieder. Ich verkrieche mich unter meiner Decke und höre es überall summen. Ich werde wahnsinnig. Jedesmal, wenn ich fast eingeschlafen bin, schreckt mich ein Summen wieder hoch. Ich schütte eimerweise Insektenmittel auf meine Haut, auf das Bettzeug. Aber es hilft nicht viel. Die Viecher sind zäh. Und mich zermürben sie mit ihrem Angriff jede Nacht aufs Neue.

Am zwölften Tag fühle ich mich schlecht. Mir ist übel und ich lege mich nach dem Frühstück einfach wieder hin. Edith sagt keinen Ton und verschwindet. Ich döse vor mich hin und irgendwann fühle ich mich etwas besser. Ich packe mein Strandtuch und gehe zum Meer. Entdecke Edith und setze mich neben sie. "Wollen wir noch nach Polyvos fahren?" "Das ist jetzt ja wohl ein bißchen spät." Ich zucke zusammen. "Na, dann eben nicht." Ich lege mich in die Sonne und schlafe ein wenig. Als ich aufwache, ist Edith weg. Ich gehe zurück zur Pension. Edith sitzt auf dem Balkon und liest. Ich sage nichts. Ich habe Angst.

In der Nacht wache ich auf. Edith hat die Balkontür und Fensterladen vollkommen geöffnet. Ich stehe leise auf und will den Fensterladen schließen als sich Edith meldet: "Laß die Türe offen, sonst bekomme ich keine Luft." "Durch die Fensterläden kommt genug Luft" antworte ich nur und schiebe die Läden ein wenig zu. Edith steht auf und schiebt mich auf die Seite. Sie fährt mich grimmig an und drückt sie wieder auf. Ich fange an zu zittern. Aber ich schließe die Läden wieder. Edith drückt mich wieder beiseite und öffnet sie wieder. "Reiz mich nicht" sage ich zu ihr. "Willst du mir drohen?" fragt sie spöttisch. Ich schiebe sie von der Balkontüre weg. Edith hält dagegen. Für einen Moment höre ich auf zu denken und schubse sie auf ihr Bett. Sie fliegt förmlich in ihr Bett. "Spinnst Du?" schreit sie mich an. Ich gehe wortlos in mein Bett zurück. Mein Körper zittert. Mir ist übel.

Am nächsten Tag ist Edith verschwunden. Wortlos ist sie aufgestanden. Sie wohnt jetzt in dem Zimmer vorn. Die Griechin schaut mich traurig an. Ich verstehe gar nichts. Wenn ich Edith sehe, geht sie weg.

Ich gehe zu Fanni und leihe mir ein Motorrad aus. Mit 50 Sachen fahre ich die Insel ab. Genieße meinen Tag. Auch ohne Edith. Sie will ja nicht einmal reden. Soll sie es bleiben lassen. Ich fahre nach Molyvos und Mytilini, zur heißen Quelle nach Eftalon und bleibe den ganzen Tag dort. Am nächsten Tag fahre ich nach Skala Kallonis. Am Nachmittag gehe ich das letzte Mal ins Meer. Morgen früh ist Rückreise.

Unruhig drehe ich mich hin und her. Ich kann nicht einschlafen. Tausend Gedanken schießen gleichzeitig durch meinen Kopf. Edith haßt mich. Kein Wunder. Ich bin ja auch ein A***h. Ich schaffe es, daß sich alle von mir abwenden. Wie soll sich da jemand in mich verlieben? Ich sitze auf dem Balkon und rauche eine Zigarette nach der anderen. Das Rauchen hält die Stechmücken fern. Wenigstens etwas. Ich werde ruhiger. Ich sehe den Mond und ich phantasiere mich in meine Traumwelt. Da bin ich ein geliebter Junge. Werde in den Arm genommen. Festgehalten. Darf ich Fehler machen und werde trotzdem geliebt. Tränen suchen sich ihren Weg über meine Wangen. Tropfen lautlos auf meine Brust und reisen weiter, bis sie sich irgendwann in nichts auflösen.

Um sieben schrecke ich hoch. Die Sonne scheint mir mitten ins Gesicht. Zwei Stunden geschlafen. Ich taumle durch den Raum und ziehe mich an. Packe meine Tasche, gehe hoch zu Fanni und warte auf den Bus. Ich habe noch anderthalb Stunden Zeit. Ich muß verrückt sein. Edith kommt um halb neun. Sieht mich nicht an. Wartet ein paar Meter von mir entfernt. Als der Bus wenig später kommt, steige ich gleich ein und gehe ganz nach hinten. Die Reiseleiterin schaut erst zu mir, dann zu Edith und setzt sich dann. Am Flughafen müssen wir drei Stunden auf die Maschine aus Deutschland warten. Ich spüre innere Unruhe. Angst? Am Flughafen Tegel ist Edith sofort verschwunden. Der Bus an der Haltestelle ist leer. Ich steige in ein Taxi und fahre in meine Wohnung. Vorbei.

Am Abgrund

Ich gehe nur noch arbeiten, komme völlig geschafft abends zurück. Meine Kündigung vom November 1993 habe ich zurückgezogen. Nachdem mir mein Chef Verbesserungen versprochen hatte und mir mehr Geld bot. Da konnte ich nicht nein sagen. Seit Monaten haben Gabi und ich nicht mehr abgerechnet. Wir kommen einfach nicht dazu. Jeden Tag häuft sich noch mehr Arbeit an. Inzwischen habe ich schon zwei Abteilungsleiter verschlissen. Mein neuer kommt zu mir. "Der Vorstand hat entschieden, daß sie ab sofort nur noch abrechnen." Hat er das. Ich lächle müde. Gehe zum Chef und frage ihn nach seinen Zusagen für Verbesserungen. Er antwortet nur ausweichend. Lacht mich aus. Wie konnte ich so dumm sein und auf ihn hereinfallen.

Sie schaffen mir einen neuen Arbeitsplatz, weit weg vom Import und stellen mir die Aktenberge auf den Tisch. Ich rechne ab. Hunderte von Akten. Meine Augen brennen. Die Kiste vor mir flimmert. Mir wird kalt. Obwohl es draußen über dreißig Grad hat. Ich packe meine Sachen und fahre zu meinem Hausarzt. Er verschreibt mir Antibiotika und schickt mich nach Hause.

Als ich nach einer Woche wieder in der Firma erscheine, kommt einer vom Betriebsrat auf mich zu. "Der Chef ist ganz schön sauer gewesen. Und er hat mich gebeten, ihnen folgenden Vorschlag zu unterbreiten." Wir haben uns geeinigt. Ich werde gekündigt und kassiere eine Abfindung. Ich werde ab dem 5. August freigestellt. Einen Tag vorher gebe ich meine Schlüssel ab und verabschiede mich. Ich bin frei.

Ich hole kurz meine Badesachen und düse dann ins Poststadion. Zeit. Ich habe Zeit. Viel Zeit. Was für ein wunderschöner Sommer. Fast täglich bin ich beim Baden. Abends gehe ich auf Kneipentour. Aber ich bin allein. Niemand freut sich mit mir.

Michael ist viel mit mir unterwegs. Ich mag ihn ganz gerne, aber ich könnte mich nicht in ihn verlieben. Wir betrachten schöne Jungs beim Baden. Lästern abends über die Scene ab und verschwinden irgendwann am Morgen in die Betten.

"Ich bin noch nicht müde" sage ich zu Michael. Also geht er allein nach Hause und ich bleibe in Tom’s Bar allein zurück. Ich trinke das, keine Ahnung wievielte Glas Whisky-Lemon. Ich bin gefrustet. Starre auf die Riesenleinwand mit den endlosen Pornos. F****n. F****n. F****n. Aber nie ein Freund zum liebhaben.

Ein junger Typ lächelt mich an. "Wie heißt Du?" Oh, er kann reden. Wir unterhalten uns ein wenig. "Hast Du Lust?" "Hm?" "Komm!" Ich folge ihm wie in Trance. Er geht in eine Klokabine und schließt die Türe nach mir ab. Zieht sich die Hose runter. Dann mir. Drückt mich nach vorn und dann dringt er in mich ein. Er stöhnt. Wird schneller. Dann hört er plötzlich auf. "Jetzt Du." Er dreht sich um und streckt mir seinen A***h entgegen. Mein S*****z wird schlaff. Ekel steigt in mir hoch. "Ich will nicht" sage ich kurz. Öffne die Türe. Gehe schnell durch die Kneipe hinaus auf die Straße. Würgereiz. Ein Taxi steht vor der Kneipe. Ich steige ein. "Nach Moabit" kann ich noch sagen. Der Fahrer fährt ab. Weg. Ich drehe mich nicht um. Nur weg von hier. Weg.

Ich schließe mich zu Hause ein. Abends. Gehe nicht ans Telefon. Tagsüber gehe ich mit Michael baden. Abends hocke ich zu Hause herum. Michael kommt vorbei. Holt mich ab. Wir gehen in die Kneipen. Wieder. Ich langweile mich. Wir reden über so viele Dinge, daß ich sie völlig durcheinander bringe. Michael scheint das nicht zu stören. Wir lachen, aber eigentlich ist es nicht lustig.

Zu Hause

Mittwoch sitze ich wie immer im Mann-O-Meter. Thomas sitzt mir gegenüber und ignoriert mich noch immer. Michael redet pausenlos. Die Türe öffnet sich. Ich sehe zur Tür und erkenne Linus. Er war Ende letzen Jahres mal hier gewesen. Kurz vor seinem 25. Geburtstag bekam er Ladungen zur Musterung. Ich habe ihm gesagt, er soll einfach nicht hingehen. Und er ist nicht hingegangen. Damals hatte er noch lange Haare. Jetzt hat er ganz kurze. Er sitzt mir gegenüber. Mit offenen Hemd. Ich sehe seine nackte Brust und seinen nackten Bauch. Als er zu mir sieht, schaue ich schnell weg. Es ist mir peinlich. Meine Hände werden feucht. Ich bin nervös und habe Schwierigkeiten, mich auf die Beratung zu konzentrieren.

In der U-Bahn hole ich mir das Bild von eben zurück. Linus. Er sieht genial aus. Er ist viel zu hübsch für mich. Lächelt immer etwas verlegen. So zurückhaltend. Ich verdränge meine Gedanken.

Am nächsten Mittwoch kommt er wieder. Wir reden über die Vereinsgründung und fragen Linus, ob er mitmachen will. Er will. Ich freue mich. Von nun an sehe ich Linus jeden Mittwoch.

Am 1. Oktober haben wir eine Informationsveranstaltung bei der AHA. Viele junge Schwule sind da, um sich über die Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerung zu informieren. Ich sitze neben Linus an der Bar. Wir unterhalten uns. Ich frage ihn nach seinem Coming Out. Er beginnt zu erzählen, aber wir werden gleich unterbrochen. "Es geht los" sagt Thomas kurz angebunden und dreht sich gleich wieder weg. "Ich höre gerne Coming-Out-Geschichten. Du mußt mir unbedingt ein anderes Mal weiter erzählen!" Linus gibt mir seine Telefon-Nummer.

Am Freitag eine Woche später sitze ich im Waschsalon und verfolge die Drehungen meiner Maschine. Links herum. Rechts herum. Beim Schleudern kommen meine Augen nicht mehr mit. Wie meine Gedanken. Kreisen um Linus. Soll ich ihn wirklich anrufen? Beim Wäsche aufhängen schaue ich immer wieder auf den Zettel mit seiner Telefon-Nummer.

Ich wähle seine Nummer. Bin ganz ruhig. "Ich würde mir gerne deine Coming-Out-Geschichte weiter anhören" sage ich leise. Minuten später gehe ich zum Bus. Ich fahre zu ihm. Vor einem riesigen Hochhaus in Spandau suche ich seine Klingel. Siebte Etage sagte er. Ich finde sie und drücke zweimal kurz hintereinander auf das Namensschild. Es summt und ich hechte zur Türe. Der Fahrstuhl braucht eine Ewigkeit. Endlich erscheint die sieben. Ich steige aus und sehe Linus im Hausflur stehen. "Der andere ist schneller" lächelt er mir zu. Und zeigt auf einen zweiten Fahrstuhl um die Ecke.

Ich betrete seine Ein-Zimmer-Wohnung. Sie gefällt mir. Überall nur Regale. Keine Schränke. Das liebe ich. Alles offen. Keine verschlossenen Türen.

Wir setzen uns auf den Boden und trinken Tee. Linus erzählt von seinen Eltern. Zeugen Jehovas. Von seinem Auszug. Von seinem Coming-Out. Er fragt mich. Wie ich zum Verein kam. Ich erzähle ihm von meiner Bundeswehrzeit. Vom Bundeswehrkrankenhaus. Von Björn. Dann erzähle ich ihm vom Heim. Von den 10 Jahren. Linus schaut mich liebevoll an. Steht auf. Streichelt mit einer Hand über meinen Kopf. "Du Armer. Deine Augen sehen immer so traurig aus." Linus verschwindet im Bad. Ich fühle mich frei. Ungezwungen. Ich habe das Gefühl, Linus schon ewig zu kennen. Als er zurückkommt reden wir weiter. Draußen ist es längst dunkel. Als ich das letzte Mal zur Uhr sah, war es schon nach Mitternacht. Ich überlege, wie ich nach Hause komme, da steht Linus auf und zieht sich bis zur Unterhose aus. "Ich gehe jetzt duschen" und verschwindet im Bad. Ich höre das Wasser der Dusche laufen. Was soll ich jetzt tun? Ich überlege, einfach zu gehen. Ich gehe zur Badezimmertüre. Das ganze Bad ist seine Dusche. Durch den schmalen Spalt sehe ich ihn. Mein Herz schmerzt. Will zu ihm. Ich ziehe meine Klamotten aus und öffne langsam die Türe. Linus grinst mich an. Ich bin total nervös. Stelle mich unter das Wasser und versuche einen klaren Kopf zu bekommen. Durch die Spiegelkacheln betrachte ich Linus‘ Körper. Ich drehe mich zu ihm um. Er lächelt mich an. Linus dreht das Wasser aus, nimmt ein Handtuch und fängt an, mich abzutrocknen. Sanft drückt er den Stoff an meine Haut. So zärtlich. Als ob meine Haut bei der geringsten Belastung bersten würde. Ich nehme ein anderes Handtuch und trockne ihn damit ab. Ich sehe seinen Körper von so nah. Ich möchte ihn anfassen. Berühren. Linus geht aus dem Bad und ich folge ihm. Unbeholfen. Er setzt sich aufs Bett und ich setze mich zu ihm.

Wir küssen uns. Wir berühren uns. Ich lasse mich fallen. Ich bin zu Hause. Zu Hause.