kirisk.de

:: Mein Leben

:: : Prolog
:: : 10 Jahre
:: : Die Flucht
:: : Tränen
:: : Zurück ins Leben
:: : Epilog

:: : Der Brief
:: : Bücher

:: : Fotoalbum
:: : La Palma

:: Reaktionen

:: : Erzeuger
:: : Post
:: : Presse

:: Online-Familie

:: : male
:: : female

:: Links

:: : Missbrauch
:: : Suizid
:: : allg. Hilfe
:: : sonstige

:: Kontakt

:: Impressum

Zu Hause ist wo anders - Der Brief

 

 

Helmut Adler
...

Kempten

24. April 1996

Betrifft: Mein Leben

Situation 1

Der Hausmeister aus dem Kinderheim lädt einen Jungen zum Schwimmen ins Hallenbad nach Oberstdorf ein. Unauffällig. Erstmal ausgiebig duschen. Dann den Jungen in die Männersauna mitnehmen. Zum erregen. Dem Jungen ist unwohl. Verunsichert. Ausgeliefert. Der Hausmeister versichert ihm, daß nichts dabei sei. Das Normalste auf der Welt. Der Junge ist in der Umkleidekabine. Die Tür ist abgeschlossen. Der Hausmeister klopft, muß dem Jungen dringend etwas zeigen. Der Junge öffnet. Der Hausmeister zwängt sich zu ihm in die Kabine. Der Junge ist nackt. Entblöst. Erstarrt. Der Hausmeister zieht sich aus und fäßt den Jungen an. Unten. Der Junge soll ihn auch anfassen. Unten. Der Junge sagt nein, aber der Hausmeister hört dies nicht. Der Hausmeister nimmt die Hand des Jungen. Ekel. Scham. Auf der Heimfahrt ist der Junge müde. Er spricht kein Wort. Blickt abwesend aus dem Fenster. Er weint. Innen.

Situation 2

Heimurlaub in Italien. Der Hausmeister mit dem ältesten Jungen im gleichen Zimmer. Unauffällig. Der Hausmeister lädt den Jungen abends zum Essen ein. Gibt im Zigaretten. Alkohol. Was der Junge will. Das Zimmer im Bungalow. Zwei Betten. Der Junge liegt im Bett. Allein. Noch. Der Hausmeister zieht sich aus. Steigt zu dem Jungen ins Bett. Fäßt ihn an. Unten. Wieder. Der Junge kann sich nicht wehren. Unbeweglich. Und läßt es wieder geschehen. Abgestorben.

Die Geschichten kennst Du. Und es sind viele unzählige mehr. Alle gleich.

Ich suchte jemanden, der mich in den Arm nimmt, mir Geborgenheit schenkt, mich liebt und mich so akzeptiert, wie ich bin. Und Du hast das einfach ausgenutzt.

Ich habe mich sehr viel mit dem Thema ‘Sexueller Mißbrauch an Jungen’ beschäftigt. Dadurch ist mir vieles klar und auch bewußt geworden, so daß ich die Dinge heute beim Namen nennen kann:

Wie konnte es dazu kommen?

Ich war leicht verwundbar, ich hatte familiale Probleme, war einsam, unsicher, sensibel, neugierig, hübsch, „provokant“ gekleidet, vertrauensselig, jung und schüchtern.

Durch die Abwesenheit von meinen Eltern (Tod meiner Mutter, eine schlechte oder gar keine Beziehung zu meinem Vater) und eine vielleicht unbewußte Suche nach einem Ersatzvater war ich höher gefährdet, Opfer sexuellen Mißbrauchs zu werden. Es erleichterte Dir, in näheren Kontakt mit mir zu kommen.

Erfahrungen zeigen, daß es vor allem emotional und sozial vernachlässigte Jungen sind, die sexuell mißbraucht werden. Du nutztest dies aus, weil ich mich einsam fühlte. Dadurch war ich gegenüber Deinen Manipulationen (Aufmerksamkeit und Zuwendung) besonders verwundbar.

Aufgrund meiner Kontaktarmut und Außenseiterstellung „eignete“ ich mich aus Deiner Sicht als Opfer. Du hast meine Sehnsüchte zur Befriedigung Deiner sexuellen Bedürfnisse ausgenutzt.

Ich sehnte mich so sehr nach Liebe, daß ich bereit war für das, was Du mir als Liebe vorgegaukelt hast, mit meinem Körper zu bezahlen.

Du hast mich überredet. Immer wieder. Du wecktest in mir Neugier und ich ging Dir auf den Leim.

Du vernebelste meine Wahrnehmung und bevor ich so recht begriff, was geschah, war ich in eine Situation verstrickt, in der ich sexuell mißbraucht wurde. Ich wurde von Dir mitschuldig gemacht an dem Mißbrauch.

Warum keine Gegenwehr?

Ich habe immer nein gesagt, aber eben nicht laut. Nicht laut genug. Ich konnte es nicht hinausschreien. Ich hatte Angst.

Warum hat keiner was getan, um dem sexuellen Mißbrauch ein Ende zu setzen? Wußten die anderen was vor sich ging? Wenn ja, warum haben sie nichts dagegen unternommen? Wenn nein, wie kam es, daß sie nichts davon wußten? Ich war allein. Schutzlos. Ausgeliefert. Niemand kümmerte sich um mich.

Wem hätte ich mich anvertrauen können, wo ich doch gesehen habe, wie beliebt Du bei den Schwestern warst? Wer hätte mir geglaubt? Die Schwestern, die mir immer wieder das Erziehungsheim androhten? Ganz bestimmt nicht. Und andere Bezugspersonen waren nicht vorhanden.

Ich wagte es nicht, über den sexuellen Mißbrauch zu sprechen, aus Angst, ausgelacht zu werden, als „Schwuli“ oder „Schwuchtel“ bezeichnet zu werden, nicht mehr als Junge zu gelten. Ich schämte mich dafür, was Du mir angetan hast.

Taktik und Auswahl des Täters

Als Hausmeister in einem Kinderheim konntest Du geradezu erhoffen und erwarten, eine „unkompliziertere“ Kontaktaufnahme zu potentiellen Opfern zu haben.

Und dabei muß man sich vor Augen halten, daß Du ja auch „schöne“ Sachen mit mir gemacht hast: Ich bekam Zigaretten, Alkohol, durfte jeden Film (auch Pornofilme) ansehen, den ich wollte, hast mich scheinbar als Erwachsenen behandelt. Um mich zu ködern, mein Schweigen zu bezahlen. Diese Vergünstigungen wollte ich nicht aufgeben.

Sexueller Mißbrauch

Auch subtilere Formen der Überredung führen zu sexuellen Mißbrauch.

Bei sexuellen Mißbrauch liegt immer ein ungleiches Machtverhältnis zwischen Tätern und Opfern. Sexueller Mißbrauch beruht auf Zwang.
Sexueller Mißbrauch ist nicht nur eine Form der körperlichen, sondern ebenso der psychischen Gewalt.

Ich erhielt von Dir falsche Informationen, lernte dadurch nicht, sexuellen Gefühlen den richtigen Platz zu geben. Dadurch wurde ich nicht sensibel für Situationen, in denen ein erwachsener Mensch seine Grenzen überschreitet.

Du tauschtest Aufmerksamkeit und Zuwendung gegen Sex.

Ich habe Dir blind vertraut. Du hast Deine Position der Verantwortlichkeit veruntreut, in dem Du mich sexuell belästigt hattest. Du solltest Dich um mich kümmern und nicht über mich herfallen.

Du zeigtest mir Pornofilme mit dem Ziel, dies als normal hinzustellen und mich so zu sexuellen Handlungen zu verführen.

Ich wurde von Dir sexuellen Handlungen ausgesetzt, die nicht zu meinem Alter paßten.

Ich konnte und durfte nichts anderes kennenlernen. Liebe und Geborgenheit = Sex = Sexueller Mißbrauch.

Und je länger der sexuelle Mißbrauch andauerte, desto schwerer wurde das Trauma für mich.

Die inneren Folgen des sexuellen Mißbrauchs

Ich habe mich geschämt, hatte Schuldgefühle, verspürte Wut und Hass gegen mich selbst. Hatte furchtbare Angst und schreckliche Phobien. Erlitt psychischen Schmerz. Verlor die Herrschaft über meinen eigenen Körper, verlor mein Vertrauen, meine innere Ruhe, meine Selbstachtung, mein Wohlbefinden und meine innere Festigkeit. War wie von meinen Gefühlen abgespaltet. Fühlte mich als Versager. Nicht liebenswert sein. Hatte ein Gefühl der Unwirklichkeit. Haßte mich selbst. Fühlte mich machtlos und ohnmächtig. Verlor meine Selbstbestimmung. Alles war plötzlich hoffnungslos, sinnlos. Mich quälten Alpträume und Flashbacks, die als stark aufwühlende Erinnerungseinbrüche einschlugen. Ich fühlte nur noch Einsamkeit, Gefühllosigkeit und Verzweiflung. Ich wollte mich selbst töten, aus dem Leben verschwinden. Hatte ein negatives Selbstbild entwickelt, kein Selbstvertrauen mehr. Mein Selbstwertgefühl war verschwunden. Ich war eingemauert und isoliert. Verband sexuellen Mißbrauch mit Liebe, Geborgenheit und Zuneigung. Hatte das Gefühl, verraten worden zu sein. Ich blendete meine negativen Gefühle aus und fand dadurch lange Zeit keinen Umgang damit. Ich flüchtete in meine Traumwelt. Und ich erlebe Tauer und Schmerz über meine Kindheit und Jugend, die Du mir gestohlen hast.

Die einzige gute Erinnerung, die ich an diese Zeit habe, bestand aus Augenblicken, in denen ich alleine war.

Die äußeren Folgen des sexuellen Mißbrauchs

Ich hatte und habe Angst davor, Ärger auszudrücken. Angst vor Autorität, vor Regeln, vor Gewalt, vor Gefühlen. Angst mich zu zeigen. Mir war alles egal, gleichgültig. Erstarrte vor Gefühlskälte. Verlust von Sicherheit. Verlust von Vertrauen. Ich mußte übermäßig wachsam sein, brauchte die absolute Kontrolle, mußte stets den Überblick wahren. Wurde zum Perfektionisten. Ich wurde schüchtern, scheu, zog mich total zurück. Ich verspürte Lustlosigkeit, hatte keinen eigenen Antrieb mehr, nur passives Abwarten. Realitätsverlust. Durch den Vertrauensverlust lernte ich allem und jedem zu mißtrauen. Verspürte und verspüre Eifersucht und Neid auf all die anderen, die eine glückliche Kindheit und Jugend hatten und haben, die nicht sexuell mißbraucht wurden.

Die körperlichen Folgen des sexuellen Mißbrauchs

Ich war all die Jahre verkrampft, war unfähig, mich zu entspannen. Ich litt an schweren Depressionen, an Schlaflosigkeit und (Ein-)Schlafstörungen und tue es noch. Ich mußte zwanghaft Essen und auch Diät halten, vernachlässigte meinen Körper, war aggressiv gegen mich selbst, verletzte mich selbst, weil ich ein negatives Körperbild von mir entwickelt hatte. Ich bekam häufig Kopf- und Bauchschmerzen ohne erkennbare Ursachen, hatte einen Nierenstein und Koliken mit höllischen Schmerzen. Heute weiß ich, daß Dein gemeines Vergehen an mir und mein ewiges Hinunterschlucken meiner Gefühle und Leiden die Ursachen dafür waren.

Die sexuellen Folgen des sexuellen Mißbrauchs

Die Annahme, daß Liebe = Sex = Sexueller Mißbrauch darstellte, führte zu sexuellen Dysfunktionen und sexuellem Ausagieren. Ich war in bezug auf Sexualität so verwirrt, daß ich mich krampfhaft sexuell betätigte. Ich fand mich so wertlos, daß ich sehr lange keinerlei Vorsichtsmaßnahmen bei sexuellen Kontakten traf. Ich kann wirklich von Glück reden, daß ich davon keinerlei körperliche Folgen davongetragen habe. Du nahmst mir durch Dein egoistisches Verhalten die Möglichkeit, eine natürliche sexuelle Reife zu erleben.

Die zwischenmenschlichen Folgen des sexuellen Mißbrauchs

Bedingt durch meine Isoliertheit, Vereinsamung, Kontaktarmut und Schweigen hatte ich Kontaktschwierigkeiten und wurde unnahbar. Ich fühle immer noch Unbehagen bei Berührungen, was den Verlust von intimer Nähe weiter bestehen läßt. Diese Angst vor Intimität läßt mich auch heute noch vor menschlicher Nähe, ja vor Menschen, davonlaufen. Ich habe Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen, ich habe Angst vor Ablehnung, ziehe mich bei auftretenden Problemen zurück und habe Schwierigkeiten in der Kommunikation. Ich war unfähig, mir helfen zu lassen, mich umsorgen zu lassen. Ich war unfähig, wahre Liebe anzunehmen und mich dabei fallen zu lassen.

Überleben und Verinnerlichung

Du hast mir die Lügen des sexuellen Mißbrauchs als Normalzustand eingetrichtert. Ich glaubte, sei normal, um eine vom sexuellen Mißbrauch durchsetzte Zeit auszuhalten.

Deine wiederholten sexuellen Übergriffe führten zu konditioniertem sexuellen Verhalten. Es bestand keine Möglichkeit, als mich dem sexuellen Mißbrauch zu unterwerfen, und ihn möglichst schmerzfrei zu überleben. Ich mußte lernen meine Gefühle auszuschalten.

Das wiederholte Zulassen des sexuellen Mißbrauchs sollte für mich dazu dienen, das Trauma auf lange Sicht akzeptieren zu lernen und damit möglicherweise zu integrieren: Eine sich selbst erfüllende schreckliche Prophezeihung.

Es war eine verwirrende Empfindung der rein körperlichen sexuellen Erregung. Ich war verwirrt, weil Verstand und Intuition mir sagten, daß etwas nicht stimmte und der Körper gleichzeitig Signale aufwies, die andeuteten, daß der sexuelle Mißbrauch als angenehm und schön empfunden wurde.

Ich gelang zu der Überzeugung, daß ich lustvolle Gefühle nur beim Sex mit Dir erleben konnte. Deshalb nahm ich lange fälschlicherweise an, daß es kein sexueller Mißbrauch war, weil ein Teil davon lustvoll war.

Ich suchte nach Zärtlichkeiten und mußte mit meinem Körper bezahlen. Ich dachte: besser als nichts, besser das minimalste Lustempfinden bei Deinem sexuellen Ausbeuten erleben, als gar keine sexuelle Lust. Hoffnungslose Hoffnung nach Liebe, Geborgenheit, Nähe.
Einerseits suchte ich den Sex mit Dir, obwohl ich es gar nicht wollte. Andererseits schaffte ich es einfach nicht, es nicht mehr zu tun. Es wurde zur Gewohnheit.

Ich durfte nicht normal aufwachsen, keine Freundschaften zu anderen Jungen haben, keine eigenständige natürliche Entwicklung nehmen. Ich gehörte zu niemanden, war allein, meistens allein in meinem Zimmer.

Auch wußte ich lange Zeit nicht, ob ich mißbraucht wurde, weil ich schwul bin oder ob ich schwul geworden bin, weil ich mißbraucht wurde. Durch Deine gemeine Taten wurde es mir sehr erschwert, zu meiner eigentlich homosexuellen Orientierung zu finden.

Da ich von dir nur falsche Informationen bekam, habe ich eine Weltsicht entwickelt, die - obwohl in sich schlüssig - in Irrtümern und Verzerrungen gründete. Diese Fehlassoziation führte mich zu der Überzeugung, daß ich lustvolle Gefühle nur in einer mit einem sexuellen Mißbrauch verknüpften Situation erleben könnte. Ich nahm an, daß mich nie jemand wirklich lieben würde, sondern daß ich immer nur mit Sex bezahlen müßte.

Ich wäre in Berlin fast auf dem Jungen-Strich gelandet!

Und Du konntest mir nicht mal in Berlin meine Ruhe lassen, mußtest weiter in meinen Wunden wühlen.

SEXUELLER MISSBRAUCH?MACHT?SPASS?

Damals fand ich die sexuellen Handlungen teilweise auch angenehm, später bekamen sie für mich etwas zwanghaftes. Aber ich war nicht wehrhaft genug, um zu sagen: Hör auf damit!

Dieses angenehme Gefühl bedeutet aber keineswegs, daß ich den sexuellen Mißbrauch wünschte. Zudem erlebte ich diese Lustgefühle nicht als solche, bei denen ich mich hätte fallen lassen können.

Sexuelle Erregung kann durch körperliche Reizung auch gegen den Willen eines Jungen ausgelöst werden. Daraus ergab sich bei mir Frust, Wut und Haß auf den eigenen Körper, der anders reagierte, als das gewollt wurde.

Die Erregung schlug in Scham und Ekel um. Ich haßte mich und meinen Körper, weil er mir in einer solchen Mißbrauchssituation Lustgefühle vermittelte.

Trotzdem lies ich mich wieder auf Deine sexuellen Handlungen ein, um überhaupt Lustgefühle zu erhalten.

Ein falscher Weg endet in dem Glauben, daß es sich um keinen echten sexuellen Mißbrauch handelte, da ja ein Teil davon lustvoll war. Er erlaubte es Dir, mich so weitgehend zu manipulieren, daß ich dachte, meine Beteiligung sei aus eigenem, freiem Willen erfolgt.

Relation der Folgen

Ich hätte in einem Leben ohne sexuellen Mißbrauch sicherlich auch Probleme, die aus meiner Vergangenheit herrühren, aber durch Deine widerlichen Berührungen wurde es fast tötlich.

Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute mußte ich mich zwingen zu überleben. Durch Deine abscheulichen Taten wurde mein Leben schmerzlicher, schwieriger, einsamer, ärmer und trauriger.

Ich hätte eine glücklichere Kindheit und Jugend haben können, wenn Du Dich nicht an mir vergriffen hättest. Ich hätte wieder lachen können. Du nahmst mir diese Möglichkeit.

Ich habe Deinen sexuellen Mißbrauch nicht verdient! Was ich verdient hätte war Verantwortlichkeit, Respekt, Akzeptanz, Fürsorge, Geborgenheit, Vertrauen, Vertrautheit, Verständnis, Zuspruch, menschliche Wärme - Liebe!

Geheimhaltung

Du erklärtest den sexuellen Mißbrauch zum „gemeinsamen Geheimnis“ und suggerierste mir damit eine aktive Beteiligung.

Ich mußte schweigen.

Wer hätte mir schon geglaubt? Mir wurde mehrmals das Erziehungsheim angedroht. Hätte ich diesen Mißstand aufgedeckt, man hätte mir unweigerlich schlechte Absichten Dir gegenüber angelastet. Und wie hätte ich den Schwestern vertrauen können, deren erzieherischen Qualitäten mit meinem Rausschmiß geendet hätten?

Du hast mein Schweigen gekauft: Zigaretten, Alkohol, jeden Film ansehen lassen, den ich wollte, mich scheinbar wie einen Erwachsenen behandelt. Aber ich war ein Kind, ein Jugendlicher. Und durfte es nicht sein.

Sogar mein Auto hast Du auf Deinen Namen angemeldet, um mich so abhängig zu halten. Außerdem mußte ich dadurch ja zwangsläufig Kontakt zu Dir halten. Eine gute Kontrollmöglichkeit bezüglich meines Schweigens und um mit dem sexuellen Mißbrauch weiter fortfahren zu können.

Wie großzügig hast Du bei Deinen „Besuchen“ bei mir in Berlin alles bezahlt, mich in die Sauna eingeladen, um mich (wieder) zu erregen, mich dadurch (wieder) gefügig zu machen, um Deinen ekelhaften Sexzwang zu befriedigen. Und mir zusätzlich noch ein paar Scheine zugesteckt. Schweigegeld.

Deine Bestechungsgaben habe ich im Austausch gegen mein Schweigen akzeptiert und bekam dadurch das Gefühl, selbst schuld am sexuellen Mißbrauch zu sein und um mich (weiter) zu prostituieren.

Geheimhaltung, nur um Dich zu schützen, Deine Familie, Deinen Job, Deinen „guten“ Ruf. Solange ich nichts sage, bleibt bei Dir alles in Ordnung. Deine Worte machten mich schweigen. Deine Hände streichelten mich von innen tot.

Ich baute eine Mauer des Schweigens um mich herum auf, und Du reichtest mir die Steine. Und Du hast Dich selbst mit eingeschlossen.

Meinen Brief von 1993 mußtest Du natürlich verbrennen. Kein Beweis. Niemand durfte davon erfahren. Was würden die Leute von mir halten. Erpreßtes Schweigen.

Als ich in Kempten war, botest Du mir selbstverständlich ein Bett an, im eigenen Haus im Keller. Da konnte ich das erste Mal NEIN sagen und es war schwer mich zu behaupten, standhaft bleiben, stark sein. Ein bischen beschützt durch Deine anwesende Familie.

Und du hast mich trotzdem nicht losgelassen. Bis heute nicht.

Ich will mit Dir nichts mehr zu tun haben. Ich will Dich nicht sehen. Ich will Dich nicht am Telefon hören. Und Du hast das zu akzeptieren!

Geheimhaltung durchbrechen

Ich werde nicht länger schweigen. Du hast meine Kindheit und Jugend zerstört, Du hast meine Kindheit und Jugend gestohlen, Du hast mein Grundvertrauen zerschlagen, Du hast das Licht gelöscht in mir. Du hast mir weh getan. Du hast mich verletzt. Du hast tiefe Risse in meiner Seele hinterlassen.

Du hast keine Macht mehr über mich! Ich bin stark! Ich bin gut! Ich bin liebenswürdig!. Ich habe zu mir selbst gefunden.

Endlich darüber mit einem vertrauten Menschen sprechen zu können, beendete meine Isolation und schafft Unterstützung.

Schweigen brechen bedeutet meine Gefühle nach oben zu bringen, meine Gefühle zulassen, was der Heilung meiner Wunden hilft.

Die Geschichte zu erzählen, ist für mich ein wichtiger Schritt, mein Leben in die Hand zu nehmen und bringt verloren gegangenes Vertrauen wieder.

Darüber sprechen führt auch dazu, daß die Öffentlichkeit auf sexuellen Mißbrauch und seine schrecklichen Folgen aufmerksamer wird.

Darüber sprechen kann auch anderen Jungen helfen, deren sexuellen Mißbrauch zu beenden, zu überleben, zu verarbeiten und bestenfalls zu verhindern.

Genesung: Auf dem Weg zurück ins Leben

Ich stehe vor dem Scherbenhaufen meines Lebens. Aber ich habe Freunde gefunden, die mir helfen, die mich unterstützen, die mich verstehen, die mir glauben, die mir vertrauen und denen ich zu vertrauen (wieder) gelernt habe. Sie helfen mir, die tiefen Wunden, die Du mir zugefügt hast, zu pflegen und den Schaden in mir zu reparieren, soweit dies überhaupt möglich ist. Die Wunden werden irgendwann einmal heilen, aber die Narben zeichnen mich für mein ganzes Leben!

Als ich meinem Freund begegnete, der mein Herz berührte, riß das meine letzte Mauer nieder, und das hat sich angefühlt wie sterben.

Irgendwann kommt immer dieser Moment, der Punkt, an dem die Umkehr unmöglich wird, an dem klar wird, daß weitergehen bedeutet, niemehr zurück zu können. Dieser Moment ist jetzt!

Bewußt machen - bewußt leben - Gefühle zulassen - Gefühle ertragen lernen - Unsicherheit - Angst - Achterbahn der Gefühle - Nachdenken ohne Ende - schlaflose Nächte - Erwachen - Erstarken - langsame Festigung - Sicherheit - zur Ruhe kommen - Leben. - Ja: Leben!

Das einzig wichtige ist, daß ich es irgendwie schaffe, meine Geschichte anzunehmen.

Ich habe für meine Genesung viel Geld ausgegeben und werde das auch weiterhin tun:

Für Bücher, Zeitschriften und CD´s, die ich brauch(t)e, um zu begreifen, zu verstehen und um mich von Dir und dem sexuellen Mißbrauch loszureißen.

Für mich, um mir schöne Tage zu machen, wenn meine Seele danach verlangt(e).

Warum jetzt

Der sexuelle Mißbrauch war mir noch zu gegenwärtig. Ich brauchte sehr viel Zeit und Abstand, um mich von Dir und Deinen Verbrechen zu lösen.

Ich hatte meine Erfahrungen nicht als sexuellen Mißbrauch definiert. Ich mußte erst die Lügen entlarven, die Du mir eingetrichtert hattest.

Ich war bisher zu schwach, hatte Angst und war ahnungslos, orientierungslos und mußte erst begreifen und verstehen, zu mir selbst finden.

Ich war in meinen Erinnerungen noch gefangen, meine Schutzmauer mußte erst von mir eingerissen werden, um heraustreten zu können, um mich umsehen zu können, um mich (wieder) finden zu können.

Ich war noch in dem von Dir aufgezwängten Schweigen gefangen. Ich hatte eine falsche Vorstellung, was die Loyalität zu Deiner Familie betraf, die nur weiter dazu diente, mein Schweigen zu zementieren. Deine Frau, Deine Kinder sind unschuldig, und ich dachte, ich darf Deine Familie nicht zerstören. Ich wurde von Dir fast zerstört! Ich hätte beschützt werden müssen! Dabei hattest Du bereits mit der Zerstörung Deiner Familie begonnen, als Du mich das erste Mal angefaßt hattest!

Ich mußte erst meinen Freund finden, ihm vertrauen zu lernen, um mich dann zu offenbaren.

Der Zeitpunkt ist jetzt genau richtig!

Verleugnung und Bagatellisierung

„Nach all dem, was ich für dich getan habe - Wie kannst du es wagen, mich solchen Ungeheuerlichkeiten anzuklagen - Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich derartiges getan haben soll - Du hast es doch selbst gewollt - Es hat dir doch Spaß gemacht - Du hast es ja selbst gesucht - Wenn das herauskäme, zerstörst du mein Leben - Können wir das in Zukunft nicht als unser Geheimnis betrachten - ...“

Ich weiß, was geschehen ist, und ich sage Dir hiermit, daß ich es weiß! Du hast nur unerlaubt, die Zukunft mir geraubt! Du brachst roh ein in mein Revier! Du nahmst mir meine Leichtigkeit! Du nahmst mir meine Unbefangenheit! Du nahmst mir meine Unschuld! Du hast den Ernst in mein Gesicht gebracht! Du machtest meine klaren Augen blind! Du triebst mit mir ein böses Spiel! Du brachst die Flügel mir, bevor der Flug gelang!

Du hast mich sexuell mißbraucht, um Dich sexuell an mir abzureagieren! Du hast mir fast mein Leben genommen! Dafür kann ich Dich nur hassen!!!

Ich erwarte von Dir gar nichts. Wie es Dir geht, interessiert mich nicht! Was immer in Dir vorgehen mag, wenn Du diesen Brief hier liest: Ganz tief in Deinem Inneren weißt Du, wovon ich spreche!

Ich fordere Dich heraus, Verantwortung zu übernehmen! Wenn Du Dich bei mir ernsthaft und glaubwürdig entschuldigen, Wiedergutmachung anbieten willst: Dann schreibe mir. Ein Brief! Kein Anruf! Kein Besuch! - Nur ein Brief!

Zurück im Leben

Stefan