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MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 23.03.2010 18:00

»Tun wa`s noch`n bisschen?«

Im Gerhardingerhaus soll es in den 70er und 80er Jahren zu Übergriffen gekommen sein.

Kempten hat offenbar seinen ersten öffentlichen Fall von sexuellem Missbrauch in einer katholischen Jugendeinrichtung: Gegenüber dem KREISBOTE berichtete der heute in Berlin lebende Stefan S. von seinen Erlebnissen im Gerhardingerhaus, wo er von 1976 bis 1986 lebte. Über Jahre hinweg soll sich der damalige Hausmeister der Einrichtung an ihm vergangen haben. Dazu kamen Schläge der Schwestern und sexuelle Übergriffe älterer Heimbewohner, berichtet S. weiter. Zu einem Verfahren gegen den Beschuldigten kam es aber nie, da S. zu spät zur Polizei ging. Der Hausmeister soll heute bei der Diakonie in Kempten arbeiten.

Die Missbrauchsfälle in katholischen Jugendeinrichtungen haben jetzt offenbar auch Kempten erreicht. Im Gespräch mit dem KREISBOTE bezichtigte der 41-jährige Kemptener Stefan S. einen ehemaligen Hausmeister (Name der Redaktion bekannt) des Gerhardingerhauses, eine Einrichtung der Katholischen Waisenhausstiftung, des sexuellen Missbrauchs. Begonnen haben sollen die Übergriffe des Mannes Ende der 70er Jahre während eines Besuchs des Oberstdorfer Schwimmbads. Da ist doch nichts dabei, wenn zwei Männer es sich mal machen, oder?", soll der Mann zu dem damals 12 Jahre alten S. gesagt haben. Laut S. hat sich der Vorfall in der Umkleidekabine des Bades abgespielt. Damit begann ein jahrelanger Leidensweg für den Jungen, das erst Mitte der 80er Jahre endete.

Bereits zuvor sei es immer wieder zu sexuellen Übergriffen älterer Heimbewohner gekommen, so S. weiter. Außerdem seien die Kinder von den Schwestern des Heims misshandelt worden. Misshandlungen und Schläge waren an der Tagesordnung, betonte der 41-Jährige gegenüber dem KREISBOTE.

Von jenem Sommertag in Oberstdorf an habe sich der Hausmeister regelmäßig an ihm vergangen. Vor allem während der Ferien, wenn er ihm geholfen habe, berichtete S. Die Standarfrage war demzufolge: Tun was nochn bisschen?" Selbst nachdem er 1986 das Heim verlassen und nach Berlin gezogen war, sei der Kontakt zu dem Mann nie ganz abgerissen. Ich war das perfekte Opfer, sagt S. heute. Allerdings habe sich der Beschuldigte nie gewaltsam an ihm vergangen, betonte S. Im Gegenteil habe er sogar eine Art Beziehung zu dem Mann gehabt. Dieser habe ihm das Gefühl gegeben habe, etwas wert zu sein oder ihm Zigaretten und Alkohol geschenkt. Das habe dazu geführt, dass er sich dem verheirateten Familienvater gegenüber bei seinen Annäherungsversuchen verpflichtet gefühlt habe. Erst 1996 sagte er sich mit einem Brief an seinen Peiniger von der unheilvollen Verbindung los und fing an, sein Leben und seine Vergangenheit aufzuarbeiten, erklärte S.

Taten verjährt

Dazu gehörte auch der Gang zur Polizei, der allerdings zu spät erfolgte. Wegen Verjährung stellte die Staatsanwaltschaft Kempten das Verfahren im März 1997 ein, wie aus damaligen Unterlagen der Behörde (Kopien liegen dem KREISBOTE vor) hervorgeht.

Die Staatsanwaltschaft informierte trotzdem das Kemptener Jugendamt, da S. Ausführungen den Ermittlern offenbar plausibel erschienen. Zu diesem Schluss kam wohl auch der damalige Abteilungsleiter im Jugendamt, Nock. Der schrieb am 20. März 1997 an Helmut Dreher, Leiter des Stiftungsamtes, das auch die Katholische Waisenhausstiftung verwaltet: Nach Durchsicht der Unterlagen sind wir der Auffassung, dass zumindest die Anschuldigungen sehr präzise und ausführlich dargestellt sind und wir sind der Auffassung, dass zumindest eine Gefahr für die anderen Jugendlichen durch Herrn XX ausgehen kann. Zumindest unter diesem Aspekt ist es für uns als Jugendamt nicht mehr vertretbar, Kinder und Jugendliche in diese Einrichtung zu geben. Das Schreiben endet mit der unmissverständlichen Aufforderung an Dreher, einzuschreiten. Dreher handelte offensichtlich und ließ den Mann aus dem Verkehr ziehen. Ihm soll fristlos gekündigt worden sein.

Gegenüber dem KREISBOTE wollte sich Michael Wilde, heutiger Leiter des Gerhardingerhauses, nicht äußern und verwies auf die zuständigen Stellen in der Stadtverwaltung. Dort war am Montagabend jedoch niemand mehr für eine Stellungnahme erreichbar.

Ihre Kommentare

24.03.2010 16:00, Isny, Sonja (nicht geprüft)
Hallo zusammen, ich war in der Zeit von 1983 - 1991 in dem Heim wohnhaft und bin total schockiert ,was ich da lese. Denn ich kann sexuellen Missbrauch und Misshandlungen durch die Schwestern überhaupt nicht bestätigen. Im Gegenteil, die Schwestern waren alle sehr nett,liebevoll und fürsorglich. Ich bin sehr froh, daß ich dort wohnen durfte und habe dort auch vieles gelernt. Bis heute habe ich noch zu einer dieser Schwestern Kontakt. Ich bin wirklich sehr erschüttert deswegen . Ich kann nur nocheinmal betonen, daß es sehr schön dort war,und es mir wirklich gut ergangen ist. Ich hoffe auch , dass jetzt das "Bild" von den Schwestern nicht schlecht erscheint!

Quelle: Kreisbote Kempten


MELANIE LÄUFLE, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 23.03.2010 20:00

Stadt bestätigt Missbrauchsfall in Kempten

Den Missbrauchsfall im Gerhardingerhaus bestätigte die Stadt am Dienstag.

"Uns hat in Kempten das Thema sexueller Missbrauch eingeholt", eröffnete Stadtdirektor Peter Riegg, Leiter des Verwaltungs- und Finanzreferats, am heutigen Dienstagmittag eine Pressekonferenz zum Thema. Damit hat die Stadtverwaltung auf die vom KREISBOTE recherchierte Geschichte (siehe anderer Artikel) reagiert und sie bestätigt.

Vergangene Woche hätten unter anderem einzelne Kommunalpolitiker und das Gerhardingerhaus eine E-mail erhalten, wo das Opfer beschrieb, dass früher im Gerhardingerhaus vom Hausmeister sexuell missbraucht wurde. "Wir waren von dieser E-mail überrascht. Bis auf den Leiter des Stiftungsamtes, Helmut Dreher, war uns der Fall nicht gegenwärtig", so Riegg.

In aller Kürze schilderte das Opfer die damalige Situation, was vorgefallen war und was er mit der E-mail erreichen will. "Das Opfer will die Sache aufarbeiten und erhofft sich dabei die Unterstützung von den damals beteiligten", sagte der Stadtdirektor.

Der beschuldigte Hausmeister sei am 1. September 1984 eingestellt worden, der Missbrauchte wohnte seit 1976 in der Einrichtung. Da er 1986 als 17-Jähriger ein eigenes Zimmer bezog kommt für den Missbrauch der Zeitraum zwischen Herbst 1984 und Mitte 1986 in Frage.

"Das Opfer hat seine Geschichte auch auf einer Homepage (www.kirisk.de) dargestellt", so Riegg.

Die Stadt sei erstmals im März 1997 mit dem Thema konfrontiert worden, fuhr er fort. Die Staatsanwaltschaft habe sie über den Fall in Kenntnis gesetzt. "Das Opfer hatte im Oktober 1996 Strafantrag gegen den Hausmeister gestellt", erläuterte der Stadtdirektor. Nach den damaligen Vorschriften seien jedoch alle Straftatbestände bereits verjährt gewesen und die Staatsanwaltschaft habe am 19. Dezember 1996 das Verfahren eingestellt.

»Sofort beurlaubt«

"Nachdem der Stadt die Ermittlungsakte vorlag, wurde der Hausmeister sofort beurlaubt". "Außerdem wurde ihm verboten das Gerhardingerhaus zu betreten und Kontakt zu den dort wohnhaften Jugendlichen aufzunehmen". Laut Riegg folgte die sofortige Entlassung des "Täters" nach einem Gespräch, in dem der Hausmeister die Vorwürfe nicht bestritten hatte. Was der damals 45-Jährige danach gemacht hat, ist der Stadt nicht bekannt. "Der Fall war für uns dann erledigt", meinte Riegg. Bei der Stadt sei er nicht mehr aufgetaucht.

Wie der Leiter des Jugend-, Schul- und Sozialreferats, Benedikt Mayer, schilderte, hat der "junge Mensch" noch versucht in die Akten des Jugendamts Einsicht zu nehmen, soweit diese noch vorhanden waren.

Riegg sagte, dass das Opfer dem Jugendamt vorwerfe, dass er damals nicht im nötigen Umfang informiert hat. Auf seiner Homepage habe er jedoch einiges aus den Akten zitiert, sodass die Stadt davon ausgehe, der Vorwurf sei nicht berechtigt.

"Wir werden in der nächsten Zeit auf das Opfer zugehen, ihn einladen und klären, wie wir ihm helfen können", fügte Riegg an. Die Stadt habe als Träger des Gerhardingerhauses ein gewisses Maß an Verantwortung, meinte er. "Wir müssen dem Opfer helfen".

Eines stellte Riegg aber noch klar: "Das Gerhardingerhaus von damals hat mit dem von heute nichts mehr zu tun".

Weiter Missbrauchsfälle sind der Stadt nicht bekannt.

Ihre Kommentare

23.03.2010 23:28, Kempten, Wolfgang (nicht geprüft)
Hallo zusammen,
war in dieser Zeit ebenfalls in dem Heim untergebracht, einen sexuellen Missbrauch kann ich nicht bestätigen, Übergriffe der Nonnen und älterer Mitbewohner in Punkto Härte/Schläge aber schon.

War eine Kunst sich dort täglich sich zu beweisen!

25.03.2010 01:04, Kempten, Viola (nicht geprüft)
Hallo Ihr alle,

unglaublich das ich heute diesen Text im Kreisboten lesen musste. Erst jetzt, seit es in den Medien um sexuelle Übergriffe in kirchlichen Einrichtungen aufgegriffen wird, wird überraschender Weise auch Stefans Leidensweg, und er war bestimmt nicht der Einzige, öffentlich bekannt. Als ich 1997 erfuhr was ihm wiederfahren ist, wurde mir jedesmal, wenn ich den Hausmeister zufällig sah, kotzübel. Plötzlich fiel mir eine Situation ein, als damals, es muss so um 1984 gewesen sein, zwei andere Jungs aus unserem Heim auf mich zugerannt kamen und riefen "Boa hey, H., die Schwule Sau, will mir an den Schwanz fassen". So zur Jahrtausendwende war mein Sohn im Kindergarten auf dem Bühl, dieser gehört zur Diakonie Kempten. Als ich ihn eines Tages abholte, musste ich mit großem Schrecken feststellen, das auf dem Spielplatz des Kindergartens genau jener Hausmeister arbeitete, der sich an Stefan vergangen hat. Ein paar Tage später bin ich zur Leiterin des Kindergartens gegangen um sie über das frühere Leben des Hausmeisters aufzuklären. Für mich ist es absolut unverständlich, wie so ein Mensch, egal ob verjährt oder nicht, überhaupt in der Nähe von Kindern sein darf! Ich wurde von der Leiterin mit der Aussage abgespeist, er würde sowieso nicht in die Nähe der Kinder kommen und außerdem habe er einen Unfall gehabt und würde wahrscheinlich sein Leben im Rollstuhl verbringen müssen. Fakt ist, noch heute sieht man ihn in Kempten, und meist hat er sehr junge Burschen/Jungs (Opfer) um sich.

Misshandlungen kenn ich nur von EINER EINZIGEN Nonne. Jeder aus dem Heim wird genau wissen, von wem ich spreche.

Quelle: Kreisbote Kempten


Allgäuer Zeitung Kempten | Von Sabine Beck | 24.03.2010 10:08 Uhr

Missbrauch im Heim holt Stadt nach 25 Jahren ein

Gerhardingerhaus - Sexuell Belästigter fordert Aufarbeitung: «Damals bewusst weggesehen»

«Ich habe geweint. Nächtelang. Getrauert. Über meine verlorene Kindheit und Jugend. Ich hatte Schmerzen, die kaum auszuhalten waren. Habe nachgedacht. Endlos. Dass ich Kopfschmerzen davon hatte.» Über zehn Jahre ist es her, dass Stefan S. diese Zeilen schrieb. Sie sind ein Teil seiner Lebensgeschichte. Einer Lebensgeschichte, die von sexuellem Missbrauch handelt.

Dass er im Jetzt leben und wieder Lebensmut schöpfen wolle, notierte Stefan S. damals. Doch der Missbrauch, der sich vor rund 25 Jahren im Gerhardingerhaus in Kempten ereignet haben soll, holt ihn offensichtlich immer wieder ein. In einer E-Mail unter anderem an einzelne Kemptener Kommunalpolitiker, Vertreter des Jugendamts, das Gerhardingerhaus und die «Armen Schulschwestern», die das Haus damals leiteten, fordert er, dass sein Fall aufgearbeitet wird. «Das werden wir tun», meinte gestern bei einer Pressekonferenz Peter Riegg, Chef des städtischen Verwaltungs- und Finanzreferats.

Im Jahr 1976, schilderte Riegg, kam der heute 40-jährige Stefan S. mit seinem Bruder ins Gerhardingerhaus, das bis 1994 vom Orden der «Armen Schulschwestern» geführt wurde. Der damals Siebenjährige hatte eine enge Beziehung zu seiner Mutter, die aber schwer krank war und bald darauf starb. Der Vater kümmerte sich so gut wie nicht um die Söhne. Zu dem Missbrauch soll es dann ab September 1984 durch den neu eingestellten Hausmeister gekommen sein. Damals war Stefan S. 15 Jahre alt. Der Missbrauch soll bis Mitte 1986 gedauert haben, als Stefan S. auszog.

Die Stadt, so Riegg, wurde mit den Vorfällen erstmals im März 1997 konfrontiert. Damals hatte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen bereits eingestellt, weil alle in Frage kommenden Straftatbestände - sexueller Missbrauch von Kindern, sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und sexuelle Nötigung - verjährt waren. Strafantrag war nämlich erst im Oktober 1996 gestellt worden. Als die Staatsanwaltschaft die Stadt dann über ihre Ermittlungen informierte, entließ diese den Hausmeister sofort. «Wir sind überzeugt davon, dass da etwas war», erläuterte Riegg: «Der Hausmeister hat die Anschuldigungen gegen ihn nicht bestritten.»

Zumal strafrechtlich ohnehin nichts mehr unternommen werden konnte, sei der Fall für die Stadt mit der Entlassung erledigt gewesen, so Riegg und Jugend-, Schul- und Sozialreferent Benedikt Mayer. Bis vergangenen Dienstag die E-Mail von Stefan S. ankam. «Er fordert, dass sich die Beteiligten mit dem Fall befassen. Das kam in der Vergangenheit sicher zu kurz», meinte Riegg. Ziel sei nun «eine offene und transparente Aufarbeitung, bei der das Opfer mit einbezogen wird». Deshalb solle es mit Stefan S. ein Gespräch geben. Dabei wolle man ihm aber auch klarmachen, betonte Helmut Dreher, Leiter des Stiftungsamts, «dass das Haus früher und das Haus heute nichts mehr miteinander gemein haben». Niemand von 1986 sei mehr vor Ort.

Klären wolle die Stadt, ob dem heute 40-Jährigen in den 90er Jahren für seinen Strafantrag tatsächlich die Akten des Jugendamts im nötigen Umfang zur Verfügung gestellt wurden. Laut Stefan S., so erläuterte dieser gestern gegenüber der AZ, war das nicht der Fall: «Ich durfte die Unterlagen vom Jugendamt nicht vollständig einsehen.»

«Wachsamkeit schaffen»

Doch was bezweckt der 40-Jährige eigentlich nach 25 Jahren mit seiner E-Mail? «Durch die Berichterstattung über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche wurde jetzt eine Öffentlichkeit für dieses Thema geschaffen», ist Stefan S. überzeugt. Er möchte, «dass die Leute, die damals die Verantwortung hatten und sie nicht wahrgenommen haben, sich dessen bewusst werden».

Dieser Vorwurf geht an die «Armen Schulschwestern», die nach seiner Meinung bewusst weggesehen hätten. «Ich möchte eine Wachsamkeit schaffen», meint er.

Der Hausmeister, der nie verurteilt wurde, hat übrigens eine Anstellung bei der Diakonie in Kempten erhalten. «Wir wussten von dem Vorfall, aber jeder bekommt eine neue Chance», sagt Helmut Mölle, Verwaltungsrat der Diakonie. Kontakt zu Kindern habe der Mann bei seiner Tätigkeit, «mit der wir hochzufrieden sind», nicht.


Der Missbrauch und warum Stefan S. sich nicht wehrte

Zehn Jahre lang, 1976 bis 1986, lebte Stefan S. im Gerhardingerhaus. Seine Lebensgeschichte schrieb er nieder und stellte sie später ins Internet (www.kirisk.de). Einige Auszüge:

Der Hausmeister
Ich darf mit dem Hausmeister nach Oberstdorf ins Wellenbad! Ich kenne den Hausmeister. (...) Ich dusche kurz und verziehe mich in eine Umkleidekabine. Er klopft. „Lass’ mich mal kurz rein, ich muss dir was zeigen.“ Neugierig öffne ich die Tür. Er zwängt sich in die enge Kabine. Ich halte das Handtuch vor mich. Der Hausmeister nimmt es weg und zieht sich aus. Ich stehe völlig unbeweglich da. Er fasst mich an. Unten. Ich soll ihn auch anfassen. Unten. Ich sage nein, aber der Hausmeister hört mich nicht. Er nimmt meine Hand. Ich schäme mich. „Da ist doch nichts dabei, wenn zwei Männer es sich mal machen, oder?“ (...) Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Endlich. Auf der Heimfahrt bin ich müde. Ich rede kein Wort. (...) Ich blicke abwesend aus dem Fenster. Es regnet. Ich weine. Innen.“

Warum keine Gegenwehr?
„Ich habe immer nein gesagt, aber eben nicht laut. Nicht laut genug. Ich konnte es nicht hinausschreien. Ich hatte Angst. (...) Wem hätte ich mich anvertrauen können, wo ich doch gesehen habe, wie beliebt Du bei den Schwestern warst? (...) Ich wagte es nicht, über den sexuellen Missbrauch zu sprechen, aus Angst, ausgelacht zu werden, als „Schwuli“ oder „Schwuchtel“ bezeichnet zu werden. (...) Ich schämte mich dafür, was Du mir angetan hast.“

Quelle: Allgäuer Zeitung


Allgäuer Zeitung Kempten (az) | 24.03.2010 17:58 Uhr

«Wir wollen Herrn S. helfen»

Sexueller Missbrauch - Nach 25 Jahren suchen Stadt und Orden Kontakt zu Opfer

Es ist Aufarbeitung, die Stefan S. rund 25 Jahre nach seinem sexuellen Missbrauch durch den Hausmeister im Gerhardingerhaus (wir berichteten) fordert. Diejenigen, «die damals die Verantwortung hatten und sie nicht wahrgenommen haben, sollen sich dessen bewusst werden», sagt der 40-Jährige. In der Verantwortung sieht S. vor allem das Jugendamt und die «Armen Schulschwestern», die damals das Haus leiteten. Die Stadt wie auch der Orden wollen sich nun mit Stefan S. in Verbindung setzen.

Warum haben die Ordensschwestern damals nichts unternommen? Wie hätte es sein können, dass die Schwestern - da sie doch 24 Stunden bei den Kindern waren - nichts gemerkt haben? Diese Fragen beschäftigen Stefan S. noch heute. Und er erhebt weitere Anschuldigungen. In der E-Mail, die er vergangene Woche unter anderem an die Stadt, den Orden und die Stadtratsfraktionen schickte, beschreibt er: «Die Schwestern haben geschlagen, getreten, misshandelt in der übelsten Form.»

Zu diesen Vorwürfen will man sich beim Orden der «Armen Schulschwestern» in München vorerst nicht äußern. Nach Erhalt der E-Mail habe man nun eine Rechtsanwältin eingeschaltet, erläutert Provinzoberin Schwester Charlotte Oerthel auf Nachfrage der AZ. Diese werde sich zunächst mit der Stadt in Verbindung setzen, damit man anschließend gemeinsam Kontakt zu Stefan S. aufnehme.

«Wenn jemand wie er psychisch leidet, müssen wir schauen, was wir da nach Jahrzehnten tun können», meint Oerthel: «Wir müssen darüber reden und versuchen, die Dinge zu bewältigen - damit es gut wird für die Zukunft.» Dass man für eine Aufarbeitung auch die Schwestern, die damals vor Ort waren, mit einbezieht, hält die Provinzoberin für ausgeschlossen: «Viele sind schon tot und die, die noch leben, sind krank.» Wie der Kontakt mit Stefan S. sich letztendlich gestalten wird und wie die Aufarbeitung dann aussieht, sei derzeit noch völlig offen.

Mediation vorgeschlagen

«Wir wollen Herrn S. helfen», betont auch Peter Riegg, Verwaltungsreferent der Stadt. Er erwartete noch gestern den Anruf der Anwältin des Schwesternordens. «Ein gemeinsames oder zumindest abgestimmtes Vorgehen ist da schon sinnvoll», sagt Riegg. Von Seiten der Stadt wolle man eine Mediation vorschlagen und diese auch angehen - «sofern das Opfer einverstanden ist», so Riegg. Wichtig sei aber nun zunächst, erst einmal Kontakt mit Stefan S. aufzunehmen. (bec)

Quelle: Allgäuer Zeitung


MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 31.03.2010 14:00

»Zur Verantwortung stehen«

Für die Aufarbeitung der Vorfälle im Gerhardingerhaus vor allem in den frühen 80er Jahren schlägt die Verwaltung nun eine Mediationsrunde vor.

Wenn Stefan S. vom Gerhardingerhaus redet, benutzt er oft den Begriff "Sumpf", der trocken gelegt werden sollte, oder "schwarze Vergangenheit", die aufgearbeitet werden müsse. Die Stadtverwaltung und der Orden der Armen Schulschwestern in München scheinen dazu mittlerweile bereit. "Wir wollen das Thema aufarbeiten", versicherte am vergangenen Freitag Stadtdirektor Peter Riegg gegenüber dem KREISBOTEN. Deshalb habe man bereits in der vergangenen Woche versucht, Kontakt mit S. aufzunehmen. Weitere mögliche Opfer haben sich bis Freitag nicht gemeldet.

Jahrelang will der heute in Berlin lebende Stefan S. in den 70er und 80er Jahren im Gerhardingerhaus nicht nur von einem Hausmeister sexuell missbraucht worden sein (der KREISBOTE berichtete). Fast tagtäglich sei es auch zu Misshandlungen durch die Schwestern vom Orden der Armen Schulschwestern gekommen, die seinerzeit das Gerhardingerhaus betreuten. "Misshandlungen und Schläge waren an der Tagesordnung", berichtete S. gegenüber dem KREISBOTE. Dazu kamen sexuelle Übergriffe älterer Heimbewohner auf S.

Bei den Armen Schulschwestern in München nimmt man die Anschuldigungen offenbar ernst. "Wir nehmen diese Vorwürfe ernst und werden eine genaue Durchsuchung durchführen", erklärte Elisabeth Aleiter, Anwältin des Ordens, am Freitag auf Anfrage. "Eine Aufarbeitung ist in unserem Sinne." Zunächst einmal müssten nun aber alle Vorwürfe, Akten und andere Unterlagen überprüft werden. "Man muss schauen: Was ist passiert und was ist verjährt", so Aleiter. Davon abgesehen, stehe man im engen Kontakt mit der Kemptener Stadtverwaltung, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Vor allem soll nun zunächst einmal Kontakt mit S. aufgenommen werden. "Man wird Gespräche führen", erläuterte die Münchner Anwältin.

Das bestätigte auch Stadtdirektor Peter Riegg. "Wir haben dem Betroffenen einen Vorschlag zu einem gemeinsamen Gespräch gemacht", sagte er am Freitag. S. müsse nun klar machen, in welchem Rahmen und in welcher Form das Gespräch stattfinden soll. Nach ansicht Rieggs ist es am sinnvollsten, wenn ein externer Experte die Mediationsrunde leiten wird. Dabei soll auch darüber diskutiert werden, "inwieweit hätte der Missbrauch seinerzeit bereits geklärt werden können", so Riegg.

»Das war richtig so«

Den Hausmeister 1997 unverzüglich zu entlassen, sei die richtige Entscheidung gewesen. "Wie damals reagiert wurde, war absolut richtig", betonte der Leiter des Verwaltungs- und Finanzreferats. "Allerdings würde man sich heute wohl stärker mit dem Opfer beschäftigen", gab er zu. Da dies aber das erste Mal sei, dass die Stadt mit so einem Fall konfrontiert werde, "haben wir da einfach noch Nachholbedarf."

Stefan S. selbst äußerte sich hinsichtlich des Angebots der Verwaltung zurückhaltend. "Ich brauche jetzt keine Hilfe mehr", betonte er am Montag gegenüber dem KREISBOTEN. Seine Erlebnisse habe er mit Hilfe seiner Homepage und einer Gesprächs-Therapie bereits aufgearbeitet. "Mir geht es darum, dass die, die die Verantwortung hatten, auch dazu stehen", betonte er. "Man soll sich mal Gedanken machen, warum das so passiert ist", so S. weiter. "Was ich mir wünsche, ist eine Entschuldigung und das die Vorfälle zugegeben werden."

Ob er das Angebot der Stadt annimmt und sich tatsächlich mit Vertretern der Stadt und des Ordens an einen Tisch setzt, ließ S. am Montag zunächst einmal offen.

Ihre Kommentare

31.03.2010 16:00, Kempten, Matthias Matz (nicht geprüft)
Zu spät gehandelt?

Schade. Eigentlich hätte die Verwaltung ein Lob verdient. Schnell und entschlossen hatten sich Peter Riegg, Benedikt Mayer und Helmut Dreher am vorvergangenen Dienstag in einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit gewandt und den ersten Missbrauchsfall in Kempten bekannt gegeben. So schien es jedenfalls.

Bei genauerem Hinsehen wirkt das Handeln der drei jedoch weitaus weniger schnell und entschlossen.

Im Gegenteil: Das Verhalten der Stadtverwaltung wirft Fragen auf. Vor allem muss sich die Administration die Frage gefallen lassen, warum man eine Woche brauchte, um die Vorgänge im Gerhardingerhaus öffentlich zu machen. Die besagte E-mail von Stefan S. erreichte das Gerhardingerhaus, Mitarbeiter der Verwaltung und die Spitzen der Stadtratsfraktionen bereits am Montag, 15. März, spätabends. Erst am Dienstag, 23. März, nachdem der KREISBOTE am Tag zuvor erste Anfragen bei Gerhardingerhaus und Verwaltung gestellt hatte, machte man den Fall eiligst in der Presse publik.

Dafür, dass tatsächlich erst gehandelt wurde, als bereits Gefahr in Verzug war und die Angelegenheit drohte, ungefiltert öffentlich zu werden, sprechen einige Indizien. Zum einen sind da die äußeren Umstände. Am Montagnachmittag, 22. März, fragte der KREISBOTE erstmals beim Jugendamt an. Statt des angekündigten Rückrufs von Amtsleiter Matthias Haugg erfolgte am Dienstagvormittag um 10.01 Uhr per E-mail aus dem OB-Büro die kurzfristige Einladung an alle Kemptener Medien zu einer Pressekonferenz zwei Stunden später. Der Betreff lautete: "Gerhardingerhaus der Katholischen Waisenhausstiftung".

Wer die verwaltungsinternen Abläufe kennt, wurde hier zum ersten Mal stutzig - denn der Chef der Verwaltung, OB Dr. Ulrich Netzer (CSU), weilte zu diesem Zeitpunkt im Urlaub. Allerdings ist kaum davon auszugehen, dass man ohne den Rathauschef mit einem derart heiklen Thema an die Medien herangetreten wäre, wenn es sich hätte vermeiden lassen. Zumal, wenn man weiß, dass ohne Netzers Okay in der Regel kein Punkt oder Komma das Rathaus verlassen. Außerdem werden Pressekonferenzen im Normalfall für alle Beteiligten bereits in der Woche zuvor angekündigt. Warum also jetzt diese ungewöhnliche Eile?

Gegen eine schnelle Aufklärung und größtmögliche Transparenz spricht auch der Umstand, dass am Mittwoch vorvergangener Woche (17. März) der Personalausschuss tagte. In dem sind unter anderem die Spitzen der Fraktionen im Stadtrat und der Stadtverwaltung vertreten. Also all diejenigen, die zu diesem Zeitpunkt mindestens seit einem Tag Kenntnis von der E-mail aus Berlin hatten. Angesichts der Brisanz und Aktualität von Missbrauchsfällen in ganz Deutschland darf es wohl als gesichert gelten, dass sich das Gremium an diesem Tag hauptsächlich mit dem Fall Stefan S. beschäftigt hat. Dass in den Tagen nach der Personalausschuss-Sitzung über Inhalt und Verlauf so gar nichts nach draußen gelangte, lässt die Vermutung zu, dass die Runde striktes Stillschweigen vereinbart hat.

Auch wenn die Verantwortlichen gerade noch so die Kurve gekriegt haben - man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es ihnen lieber gewesen wäre, die ganze Angelegenheit wäre stillschweigend vergessen worden. Gehandelt wurde jedenfalls erst als es keine Alternative mehr gab.

Quelle: Kreisbote Kempten


Allgäuer Zeitung Kempten (az) | 13.04.2010 14:53 Uhr

Missbrauchsopfer lehnt Gespräch vorerst ab

Gerhardingerhaus - Angebot der Stadt ausgeschlagen - Weitere Vorwürfe

25 Jahre ist es her, dass Stefan S. im Gerhardingerhaus durch den Hausmeister sexuell missbraucht wurde. Heute fordert er von allen Beteiligten Aufarbeitung. Aber nicht seinetwillen: «Ich komme mit meinem Leben schon klar, meine Internetseite war meine Therapie», meint S. «Die sollen bei sich aufräumen», ist seine Forderung an die Stadt, das Gerhardingerhaus und die Armen Schulschwestern, die die Einrichtung damals leiteten. Eine Einladung der Stadt zu einem moderierten Gespräch schlug er vorerst aus.

«Sie dürfen versichert sein, dass auch wir an einer Aufklärung großes Interesse haben und Sie bei Ihrem Wunsch auf Aufarbeitung unterstützen werden», heißt es in einer E-Mail, die Verwaltungsreferent Peter Riegg und Benedikt Mayer, Leiter des Jugend-, Schul- und Sozialreferats, am 25. März an S. schickten. Eine offene und transparente Klärung werde für die Stadt selbstverständlich sein. Riegg und Mayer schlugen S. vor, «im Rahmen eines moderierten Gesprächskreises mit Vertretern der Schwesterngemeinschaft, der Katholischen Waisenhausstiftung und der Jugendhilfe die Vorgänge soweit noch möglich aufzuarbeiten zu versuchen». Dafür solle S. nach Kempten kommen.

Noch nicht bereit

Noch, betonte S. gestern am Telefon gegenüber der AZ, sei er dafür nicht bereit. Er erwarte vielmehr von allen Verantwortlichen eine offizielle Entschuldigung, «irgendeine Form der Wiedergutmachung» und die Bereitschaft «zu einer ehrlichen und kompromisslosen Aufarbeitung». Diese vermisse er bislang, betont S. und erhebt weitere Vorwürfe. So sei er nicht erst ab einem Alter von 15 Jahren vom Hausmeister missbraucht worden, sondern bereits drei Jahre zuvor. Auch habe es Übergriffe von einem anderen Heimbewohner gegeben und die Schulschwestern hätten nicht nur ihn, sondern auch andere Kinder körperlich misshandelt. Der Heimleiter und Vertreter des Jugendamts hätten weggesehen. «Ich will und brauche keine Hilfe», sagt S.

«Für die Verantwortlichen muss es Konsequenzen geben.» Denn was damals geschehen sei, sei zwar rechtlich verjährt, nicht aber moralisch.

«Wir sind ja bereit zur Aufarbeitung, aber nach all den Jahren ist das nicht so einfach», betont dagegen Mayer. Teilweise seien Akten bereits vor vielen Jahren vernichtet worden und viele Vorwürfe ließen sich durch die vorhandenen Unterlagen einfach nicht belegen. Noch gestern schrieb er S. auf seine Antwort-E-Mail, die ebenfalls gestern bei der Stadt einging, zurück. «Darin machen wir ihm noch einmal das Angebot, ein Gespräch mit den Beteiligten zu führen», so Mayer. Seiner Ansicht nach kann die ganze Angelegenheit nur im direkten Kontakt geklärt werden. (bec)

Quelle: Allgäuer Zeitung


MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 13.04.2010 20:00

»Ehrlich und kompromisslos«

Das Missbrauchsopfer Stefan S. hat seine Teilnahme an einer Gesprächsrunde mit Verantwortlichen der Stadtverwaltung und des Ordens der Armen Schulschwestern an verschiedene Bedingungen geknüpft. Grundvoraussetzung sei die Bereitschaft, die Vorfälle im Gerhardingerhaus (der KREISBOTE berichtete mehrfach) "ehrlich und kompromisslos" aufzuarbeiten, betonte S. am Montag. Unterdessen hat die Stadtverwaltung in einem zweiseitigen Brief an den KREISBOTEN und sämtliche Kemptener Stadträte die Kritik an ihrem Vorgehen zurückgewiesen.

"Ich habe mich entschlossen, erst mal nicht nach Kempten zu fahren", sagte S. gegenüber dem KREISBOTEN. Drei Bedingungen stellt er für seine Teilnahme an einer Gesprächsrunde in Kempten, erklärte er am Montag. Voraussetzung für sein Kommen sei zum einen, dass "die Stadt Kempten, die Stiftungsverwaltung, das Gerhardingerhaus und das Kloster zu einer ehrlichen und kompromisslosen Aufarbeitung bereit sind", betonte er. Dazu gehöre auch die Anhörung aller Beteiligten, vor allem der damaligen Schwestern und Beteiligte des Jugendamtes. "Dazu gehören auch Konsequenzen", so S. weiter. Darüber hinaus fordert er einen Vorschlag, "wie eine Entschädigung der damaligen Opfer" aussehen könnte.

In diesem Zusammenhang betonte der heute in Berlin lebende Kemptener, dass er mittlerweile keine Hilfe von Seiten der Stadt oder des Ordens mehr brauche. "Meine Website ist meine Therapie", betonte er. Zudem habe er in Berlin eine Gesprächs-Therapie gemacht. Das dahingehende Angebot der Stadtverwaltung komme also zu spät, erläuterte der heute 40-Jährige.

Die Verwaltung - namentliche Pressesprecherin Christa Eichhorst und Benedikt Mayer, Leiter des Referats für Jugend, Schule und Soziales - haben unterdessen in einem Brief an den KREISBOTEN und die Stadträte die öffentliche Kritik an ihrem Vorgehen zurück gewiesen. "Unmittelbar" nach Eintreffen der E-mail von S. am 15. März spätabends habe OB Dr. Ulrich Netzer (CSU) angeordnet, den Fall "mit hohem Zeitdruck, klarer Transparenz und Konsequenz zu bearbeiten", so die beiden. Dabei habe von vornerein auch festgestanden, das Thema "zur rechten Zeit" in der Öffentlichkeit publik zu machen. "Zur rechten Zeit" bedeute in diesem Fall nach den notwendigen Recherchen und Absprachen mit der Schwesterngemeinschaft und deren Anwälten. Diese Abstimmung habe aber erst am Dienstag, 23. März, dem Tag der Pressekonferenz, stattgefunden, schreiben die beiden weiter. Davon abgesehen sei die Pressestelle der Verwaltung jederzeit zu einer Auskunft gegenüber dem KREISBOTEN bereit gewesen.

Weiter schreiben Mayer und Eichhorst, "oberste Priorität hatte bei der Stadt Kempten - auch als Verwalterin der Stiftung - von Anfang an, initiativ mit Herrn S. direkt in Kontakt zu treten, um vom Ergebnis gleich auch die Medien entsprechend informieren zu können".

Oberste Priorität?

Allerdings scheint die Verwaltung von "oberste Priorität" ihre ganz eigene Vorstellung zu haben: Der erste Versuch einer Kontaktaufnahme mit S. erfolgte nachweislich erst am Donnerstag, 25. März, um 16.43 Uhr mit einer E-mail von Mayer und Stadtdirektor Peter Riegg an S. Mithin also zehn Tage, nachdem sich S. an die Verwaltung gewandt hatte, zwei Tage nach besagter Pressekonferenz und einen Tag, nachdem sämtliche Kemptener Medien über den Fall berichtet hatten.

"Man erfährt alles nur aus der Zeitung", kritisiert Stefan S. in diesem Zusammenhang. Gegenüber dem KREISBOTE zeigte er sich verwundert darüber, wie lange die Stadtverwaltung für eine Antwort auf seine E-mail gebraucht habe. Außerdem wirft er dem Jugendamt weiterhin vor, keine Einsicht in seine Akten zu bekommen.

Einblick in Akten

Benedikt Mayer sicherte S. noch am Montagabend in einem neuerlichen Schreiben "uneingeschränkte Akteneinsicht in die Vormundsakte" zu. Alle weiteren von S. gestellten Forderungen und Fragen müssten jedoch erst überprüft werden. "Eine ausführliche Darstellung dieser komplexen Rechtsmaterie würde hier den Rahmen sprengen", schreibt Mayer. Nichts desto trotz sei die Stadtverwaltung "daran interessiert, die Vorfälle von damals transparent aufzuarbeiten."

Ihre Kommentare

14.04.2010 14:53, Altusried, Elisabeth G. (nicht geprüft)
ich war auch von 1974-1976 im gerhardingerhaus und kann nur bestätigen das dort mißhandlungen an uns kindern stattgefunden hat.

20.04.2010 17:28, Kempten, Florian W (nicht geprüft)
da ich ja jetzt schon jede woche diese Artikel von S ertragen und lesen muss, muss ich jetzt mal was sagen ich war selber 14 jahre im Gerhardingerhaus kam mit 15 monaten dort hin also ca mitte 1979-1994,
sicher wars ne harte zeit und es gab gewalt aber S was willst du jetzt noch erreichen es ist vorbei warum hast es net 1997 weiterverfolgt und dein Rachefeldzug zu Ende gebracht? was soll das jetzt? nicht nur du hast Schläge bekommen!!!!! wir alle die dort waren!!! so war halt damals die Zeit!! zu dem sexuellen missbrauch der gegen den Hausmeister vorgebracht wurde kann ich nichts sagen!!! zu mir war der Hausmeister immer top in Ordnung mir hat er nix getan!!
so hart es manchmal war ich war froh das ich im Heim war die andere Alternative wäre nicht besser gewesen für mich und ich wäre nicht das was ich heute bin!! es hat mich hart gemacht!!!
um mal zu dem feinen Dr Dr. Spindler zu kommen er hat einige von uns einzeln lange verhört alles auf kassette aufgenommen und fragen sie ihn doch mal für was er diese Aufnahmen missbraucht hat!! wo die kassetten hingekommen sind von unseren verhören!!!!!!!!!!!
das würde mich mal brennend interessieren ich werfe ihm vor das er sie für seine eigenen Zwecke missbraucht hat!!!!!!!!!!!!!!
ich von meiner seite habe mit der Vergangenheit meinen frieden geschlossen ich klage keiner der nonen an oder sonst jemand wegen gewalt!!!
ich habe für mich den Vorsatz geschworen es eines Tages besser zu machen das ist das einzigste was man tun kann
ich will auch mit dem ganzen nix mehr zu tun haben es ist vorbei!!!!!! Vergangenheit!!!! aber das musste jetzt mal raus da ich das jetzt schon woche für woche lesen muss

Quelle: Kreisbote Kempten


MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 20.04.2010 20:00

»Antiquirierte Methoden«

"Die Schwester haben zugeschlagen, zugeschlagen, zugeschlagen. Oder weggesehen." Nach dem heute in Berlin lebenden Stefan S. haben sich in den vergangenen Wochen weitere ehemalige Heimbewohner des Gerhardingerhauses beim KREISBOTEN gemeldet und von Misshandlungen und Schlägen durch die Schwestern berichtet. Aussagen von ehemaligen Kinderpflegerinnen und einem ehemaligen Psychologen legen zudem nahe, dass Heimleitung und Verantwortliche in der Stadtveraltung davon zumindest etwas geahnt haben müssen.

Von sexuellem Missbrauch wisse er zwar nichts, schreibt beispielsweise ein ehemaliger Heimbewohner im Internet-Forum des KREISBOTEN. Die "Übergriffe der Nonnen und älterer Mitbewohner in punkto Härte und Schläge" könne er aber bestätigen. Elisabeth G. schreibt: "Ich war auch von 1974 bis 1976 im Gerhardingerhaus und kann nur bestätigen, dass dort Misshandlungen an uns Kindern stattgefunden haben." Eine Isnyerin meint hingegen: "Im Gegenteil, die Schwestern waren alle sehr nett, liebevoll und fürsorglich. Ich bin sehr froh, daß ich dort wohnen durfte und habe dort auch vieles gelernt."

Eine ehemalige Kinderpflegerin aus dem nördlichen Landkreis, die Mitte der 80er Jahre im Gerhardingerhaus arbeitete, bestätigte vergangene Woche gegenüber dem KREISBOTEN, dass es zu Züchtigungen der Kinder durch die Schwestern gekommen sei. Dabei berichtete sie von eiskaltem Abduschen oder Schlägen. Vor allem eine Schwester habe sich dabei besonders hervor getan, erzählte sie vergangene Woche.

Als sie sich bei der Heimleitung und dem damaligen Stadtkämmerer Helmut Mölle und dessen Mitarbeiter Helmut Dreher über diese Methoden beschwert haben will, hätten die davon nichts wissen wollen. "Mir wurde gesagt, ich hätte etwas falsch verstanden und sollte ruhig sein", sagte sie.

Dass seinerzeit im Gerhardingerhaus offenbar wenig pädagogisch wertvoll vorgegangen wurde, beschreibt auch Dr. Manfred Spindler. Spindler war von 1983 bis 1988 als Psychologe der Jugendfürsorge in dem Heim tätig. "Das ging anfangs ganz gut", berichtete er vergangene Woche. Nach einigen personellen Wechseln unter den Schwestern habe sich die Situation dann aber schnell zum schlechten verändert. "Die Pädagogik war dann nicht mehr auf dem Stand, wie ich es mir vorgestellt habe", erläuterte er. Deshalb musste er schnell feststellen, "dass ich meine Vorgaben nicht umsetzen konnte." Fachlich sei man einfach nicht mehr miteinander klar gekommen. Obwohl er die Probleme nach eigener Aussage bei Heimleitung und Stadtverwaltung klipp und klar angesprochen haben will, sei nichts passiert - außer das sein Vertrag in gegenseitigem Einvernehmen schließlich aufgelöst wurde. "Die Heimleitung wusste, dass viele Schwestern überfordert waren und man wusste seit geraumer Zeit, dass die Erziehungsmethoden antiquiriert waren", so Spindler.

Zu lange her

Helmut Dreher, Leiter des Stiftungsamtes, bestätigte das am Montag gegenüber dem KREISBOTEN. "Der Gestellungsvertrag zwischen Stiftung und Jugendfürsorge wurde wegen divergierender Auffassungen über die Aufgabenwahrnehmung im gegenseitigen Einvernehmen 1988 beendet", so Dreher.

Stefan S. behauptet ebenfalls, die damaligen Verantwortlichen des Jugendamtes auf die Misshandlungen aufmerksam gemacht zu haben. Unternommen worden sei aber nichts.

Helmut Mölle, seinerzeit Stadtkämmerer und somit auch für das Stiftungsamt verantwortlich, das das Gerhardingerhaus betreute, erklärte am Montag gegenüber dem KREISBOTEN, dass er die Vorwürfe weder bestätigen noch dementieren könne. Dafür lägen die Ereignisse zu weit zurück. Mölle ist übrigens Verwaltungsrats-Vorsitzender der Diakonie, wo der von Stefan S. des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Hausmeister heute arbeitet.

Die Stadtverwaltung in Person von Benedikt Mayer, Leiter des Referats für Schule-, Jugend- und Soziales, erklärte am Montag ebenfalls, dass sich die Vorgänge von damals heute nicht mehr rekonstruieren lassen. "Es gibt in der Vormundsakte keine schriftlich niedergelegten Aussagen", so Mayer. Allerdings kläre man derzeit die Vorwürfe mit den damals Verantwortlichen, so der Amtsleiter weiter.

Quelle: Kreisbote Kempten


MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 27.04.2010 09:37

Akten unterwegs

Die Stadtverwaltung ist dem Wunsch von Stefan S. nach Akteneinsicht nachgekommen und hat ihm am Freitag die betreffenden Unterlagen zugesandt. Das gab OB-Sprecherin Christa Eichhorst am Montag bekannt. Mittlerweile hat auch das Bistum Augsburg Kontakt zu dem Missbrauchsopfer aufgenommen.

Otto Kocherscheidt, Beauftragter der Diözese für sexuellen Missbrauch und körperliche Gewalt, hat sich vergangene Woche mit dem mittlerweile in Berlin lebenden S. in Verbindung gesetzt. "Wir werden alles tun, um die Vorfälle aufzuklären", betonte er. Allerdings benötige das Bistum dafür Zeit, da zunächst geklärt werden müsse, welche Personen für den fraglichen Zeitraum und die damit verbundenen Vorwürfe in Betracht kämen.

Außerdem werde man S. Anschuldigungen an die Staatsanwaltschaft Kempten weiterleiten, kündigte er an.

Quelle: Kreisbote Kempten


MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 25.05.2010 09:58

Suche nach dem Gesamtbild

Stadtverwaltung braucht noch Zeit zur Aufklärung der Vorfölle im Gerhardingerhaus

Die Stadtverwaltung wird noch drei bis vier Wochen brauchen, um die Vorfölle um das Gerhardingerhaus und das Missbrauchsopfer Stefan S. (der KREISBOTE berichtete mehrfach) aufzuklören. Das erklörte Benedikt Mayer, Leiter des Amt für Jugend, Schule und Soliales, am Freitag auf Nachfrage. "Und wenn wir das Bild abgerundet haben, werden wir an die Öffentlichkeit gehen", kündigte er an.

In der vergangenen Woche hatte sich das heute in Berlin lebende Missbrauchsopfer Stefan S. erneut mit einer E-mail an die Stadtverwaltung gewandt. Darin lehnt er einmal mehr die Teilnahme an einem Gespröch mit Vertretern der Stadt und des Ordens vorlöufig ab. "Ich kann der Stadt alle Fragen beantworten, die sie mir stellen. Dafür muss ich nicht nach Kempten reisen", so S. Zudem kritisiert er, dass die mittlerweile bei ihm eingetroffenen Akten weder in einer zeitlichen noch in einer logischen Reihenfolge seien. Außerdem regt er die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses an.

Benedikt Mayer wollte sich dazu unter Verweis auf die im Hintergrund laufenden Befragunngen und Gespröche nicht weiter öußern. "Wir versuchen, die Dinge aufzuklören und wir sind in der Endphase", sagte er. "Wir reden mit einzelnen Personen, um ein Gesamtbild zu erhalten." Dazu wurde offenbar auch mit Leserbriefschreibern gesprochen, die im KREISBOTEN behauptet hatten, dass der beschuldigte Hausmeister auch in der Diakonie mit Kindern zu tun habe. "Wir brauchen noch drei bis vier Wochen, um alles abgerundet zu haben", kündigte Mayer an.

Unberechtigte Kritik?

Dass die stödtischen Akten über Stefan S. unsortiert und ohne Reihenfolge seien, wollte Mayer so nicht stehen lassen. "Das stimmt nicht", sagte er.

Unterdessen hat sich auch die Münchner Anwöltin Aleiter, die den Orden der Armen Schulschwestern beröt, schriftlich an S. gewandt und ihm einen umfangreichen Fragenkatalog zukommen lassen. "Man nimmt Ihre Vorwürfe sehr ernst", schreibt Aleiter, "und steht einer Aufarbeitung Ihrer Fragen offen gegenüber." Zudem bietet sie Stefan S. ein Gespröch mit den Schwestern und eine "ausführliche, schriftliche Entschuldigung" der Schwestern an.

Quelle: Kreisbote Kempten


Allgäuer Zeitung Kempten | Von Stefanie Heckel | 29.06.2010 12:09 Uhr

«Teilweise drei Ohrfeigen am Tag für die Kinder»

Gerhardinger Haus - Missbrauchsbeauftragte und Stadt stellen Untersuchungsergebnisse vor

Ja, Stefan S. ist im Gerhardinger Haus in den 80er Jahren vom Hausmeister missbraucht worden. Und: Misshandlungen und körperliche Züchtigungen von Kindern durch die damals verantwortlichen Ordensschwestern waren an der Tagesordnung.

Das sind die beiden wesentlichen Erkenntnisse aus den Untersuchungen zum Fall des früheren Heimkindes Stefan S. Der heute in Berlin lebende 40-Jährige hatte (wie berichtet) im März mit einer E-Mail die Überprüfung der rund 25 Jahre zurück liegenden Vorfälle im Heim ins Rollen gebracht.

Gestern stellten die Stadt und die Missbrauchsbeauftragte der Armen Schulschwestern, Rechtsanwältin Elisabeth Aleiter, die Ergebnisse vor. Missbrauchsopfer Stefan S. erklärte gegenüber unserer Zeitung, dass er nach einer «schwierigen Zeit» inzwischen froh sei, den Fall öffentlich gemacht zu haben. Wichtig sei ihm vor allem die Bestätigung seiner Schilderungen.

Gruppen mit 15 bis 20 teils verwaisten, teils vernachlässigten und misshandelten Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen - dazu jeweils eine Ordensschwester. So habe der Alltag im Gerhardinger Haus vor über zwei Jahrzehnten ausgesehen, berichtete Missbrauchsbeauftragte Aleiter. Übereinstimmend hätten ihr die damals im Heim beschäftigten Schwestern von Ohrfeigen und «hartem Durchgreifen» berichtet, um «Ordnung» in die Gruppen zu bringen.

«Insbesondere drei Schwestern haben härter zugeschlagen - so gab es von einer Schwester zwei bis drei Ohrfeigen am Tag für jedes Kind, es wurde an Haaren und Ohren gezogen und mit Büchern zugeschlagen», so Aleiter weiter. Eine der Schwestern sei bereits verstorben, eine andere über 90 und dement.

Vom sexuellen Missbrauch an Stefan S. durch den Hausmeister habe aber nach den Aussagen niemand etwas mitbekommen. Wie berichtet, hatte das Opfer 1997 Anzeige erstattet - da waren die Taten jedoch bereits verjährt.

Bei der Stadt, so fasste Verwaltungsreferent Peter Riegg zusammen, sei der Missbrauch ebenfalls erst da bekannt geworden. Anhaltspunkte für Versäumnisse städtischer Mitarbeiter gebe es nicht. In seinen E-Mails hatte Stefan S. teilweise auch der Stadt eine Mitschuld an der späten Aufklärung der Vorwürfe gegeben.

«Wir können nicht ermitteln wie eine Staatsanwaltschaft - wir haben uns aber von Mitarbeitern dienstliche Erklärungen geben lassen. Eine Falschaussage würde beamtenrechtliche Folgen wie etwa Pensionskürzungen haben», so Verwaltungsreferent Peter Riegg. Insgesamt 15 Zeugen - darunter Heimbewohner, Beschäftigte sowie zwei Jugendamtsmitarbeiter im Ruhestand - habe man befragt.

Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer wiederholte sein Bedauern und bot Stefan S. erneut ein Gespräch an. Dieser lehnte gegenüber der AZ ab. Lediglich mit Anwältin Aleiter will er sich möglicherweise treffen. Zumal noch über einen Ausgleich durch den Orden gesprochen werden soll. Jugendreferent Benedikt Mayer betonte indessen, dass das Gerhardinger Haus von heute nicht gleichgesetzt werden dürfe mit dem vor 25 Jahren. Nach dem Weggang der Schwestern habe sich das Haus verändert.

Das sieht auch Missbrauchsoper S. so: «Das ist heute eine andere Einrichtung.»

Quelle: Allgäuer Zeitung


MATTHIAS MATZ, Kreisbote Kempten / Isny / Westallgäu, 29.06.2010 18:00

Ein Ende ohne Schrecken

Heutigen und ehemaligen Mitarbeitern der Stadtverwaltung kann man im Zusammenhang mit den Missbrauchs-Vorfällen im Gerhardingerhaus in den 1980er Jahren (der KREISBOTE berichtete mehrfach) offenbar keinen Vorwurf machen. Zu diesem Schluss sind die Verantwortlichen in der Verwaltung gekommen. Dennoch entschuldigte sich OB Dr. Ulrich Netzer (CSU) am Montagnachmittag öffentlich bei dem Missbrauchsopfer Stefan S.

"Wir entschuldigen uns dafür, was damals im Gerhardingerhaus passiert ist", sagte Netzer anlässlich einer Pressekonferenz im Rathaus. Dort stellten er und die zuständigen Referatsleiter Peter Riegg und Benedikt Mayer die Ergebnisse ihrer Recherchen hinsichtlich des Gerhardingerhauses sowie der Missbrauchs- und Misshandlungsvorwürfe vor.

Demzufolge kann keinem heutigen oder damaligen Mitarbeiter der Vorwurf gemacht werden, er habe von Misshandlungen oder Missbrauch der Heimkinder gewusst. Sämtliche Mitarbeiter und Ehemaligen hätten eine dienstliche Erklärung nach Beamtenrecht mit übereinstimmenden Aussagen abgegeben. "Allerdings haben wir keine Möglichkeit, dem Wahrheitsgehalt nachzugehen", schränkte Riegg ein. Zwei ehemalige Mitarbeiter des Jugendamtes hätten aber ausgesagt, "dass sie nichts gewusst haben - damit sind wir am Ende", wies er auf die eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten der Verwaltung hin.

Helmut Dreher, noch heute Leiter des Stiftungsamtes, sei hingegen von allen Befragten entlastet worden. "Da hat sich ein klares Bild ergeben", so Benedikt Mayer. "Er har richtig reagiert." Alles in allem betrachtet sei die Sache damit für die Stadt Kempten erledigt - sofern künftig nicht noch weitere Erkenntnisse hinzukämen.

Der Entschuldigung der Stadtverwaltung schloss sich Elisabeth Aleiter, Anwältin und Missbrauchsbeauftragte des Ordens der Armen Schulschwestern, an. "Die Verhältnisse waren sicherlich nicht ideal", bekannte sie. Sie habe mittlerweile mit allen noch erreichbaren Schwestern von damals gesprochen und ein klares Bild erhalten. Während Ohrfeigen wohl seinerzeit zum Alltag gehörten, sollen sich wie von S. behauptet vor allem drei Schwestern darüber hinaus sehr rücksichtslos gegenüber den Kindern verhalten haben. "Es ist herausgekommen, dass drei Schwestern wohl überreagiert haben." Die Züchtigungen sollen ihren Recherchen zufolge von harten Ohrfeigen über an den Haaren ziehen bis hin zu Schlägen mit Büchern gereicht haben.

Allerdings hätten die Schwestern auch unter sehr harten Bedingungen wie viel zu großen Gruppen mit 15 bis 20 verhaltensauffälligen Kindern arbeiten müssen. "Sie sagen, sie mussten hart durchgreifen, um die Ordnung zu bewahren", so Aleiter. Von den Missbrauchsvorfällen durch den Hausmeister und einen weiteren Heimbewohner hätten die Schwestern jedoch nichts mitbekommen.

Beide Seiten halten übrigens weiterhin Kontakt mit dem heute in Berlin lebenden Stefan S. Netzer berichtete, dass er erst vergangene Woche S. einen Brief geschrieben habe und das Gesprächsangebot der Stadt - dem S. bislang nicht nachkommen will - erneuert habe. "Wir schließen die Tür nicht, sondern sind offen für dieses Gespräch", so Netzer. Er betonte, dass das Gerhardingerhaus von damals mit dem von heute nichts gemein habe. Aleiter sagte: "Wenn ich ihm helfen kann, werde ich es tun." Zu möglichen Entschädigungen wollte sie sich aber nicht äußern.

Quelle: Kreisbote Kempten